„Aus der Schule kann man keine Gesundheitseinrichtung machen”

Eine Grundschullehrerin äußert drei Wochen vor Schulbeginn ihre Bedenken

„Ich bin sehr verwirrt. Den ganzen Sommer lang wurde das Thema Schule mühsam diskutiert, so viele Worte und so wenig Klarheit. Das hinterlässt eine Stimmung der Verunsicherung und jede Menge offener Fragen“. In der Flut der Nachrichten über den Schulstart geht die Stimme der Lehrkräfte verloren, dabei sind sie es, die an vorderster Front zur Bildung von Kindern und Jugendlichen beitragen. Die Debatte dreht sich unablässig um neue Räumlichkeiten, Gesundheitsprotokolle, digitalen Unterricht von zuhause, aber nur wenige scheinen sich dafür zu interessieren, wie sich die Lehrer auf das neue, vermutlich recht schwierige Schuljahr vorbereiten.

Mundschutz

iFamNews hat beschlossen eine Grundschullehrerin zu Wort kommen zulassen, die anonym bleiben möchte und daher nachfolgend unter dem Pseudonym Giovanna Marchetti erscheint. Sie spricht im Namen einer ganzen Berufskategorie, die angesichts der derzeit kritischen Sachlage verunsichert und verwirrt ist. Es fehlen nur drei Wochen bis die Schulglocken wieder ertönen, doch gibt es noch immer zu viele Fragezeichen und Bedenken. So hat der wissenschaftlich-technische Ausschuss bestätigt, dass für alle Schüler ab sechs Jahren eine Maskentragepflicht während des Unterrichts besteht.

„Dazu möchte ich zwei Anmerkungen machen“, sagt Marchetti. „Erstens: Wie so oft wird ganz allgemein von Schule gesprochen. Doch wissen wir, dass zwischen einem Grundschüler und einem Schüler, der schon auf einer weiterführenden Schule ist oder kurz vor dem Abitur steht, ein himmelweiter Unterschied besteht. Man sollte berücksichtigen, dass sich die Leistungen je nach Alter verändern. Für Kinder zwischen sechs und zehn Jahren wäre es daher interessant, Kinderärzte zu Rate zu ziehen“.

An zweiter Stelle nennt die Lehrerin Folgendes: „Die Mund–Nasen-Maske ist ein Schutzmittel, aber es ist nicht einfach, sie stundenlang in einem geschlossenen Raum aufzubehalten. Auf Grund dessen sind die Lehrer gezwungen, Unterrichtsdauer und Lehrmethoden anzupassen, um allen Beteiligten – Lehrpersonal eingeschlossen – die Möglichkeit zu geben, Pausen zu machen. Vor allem wenn die kalte Jahreszeit anbricht, wird es ungemütlicher werden, sich draußen aufzuhalten“.

Medizinische Maßnahmen

Neben dem Mundschutz muss das Lehrpersonal zudem dafür Sorge tragen, dass die Schüler anderweitige Vorbeugemaßnahmen einhalten. Werden das alle schaffen? „Die Schulen stellen sich schon seit geraumer Zeit darauf ein“, versichert Marchetti, „wir durchleben eine noch nie dagewesene Situation, bei der sich die Gegebenheiten ständig ändern“. Aber „alle müssen zusammenarbeiten, man kann die Schule mit diesen Aufgaben nicht alleine lassen. Es ist notwendig, dass sich örtliche Behörden und Familien stärker zusammenschließen und eine Basis für eine fundierte Schulbildung schaffen. Davon abgesehen sind Schulen nun Mal Bildungseinrichtungen und können nicht zu Gesundheitseinrichtungen umfunktioniert werden. Teilweise hängt dies mit der Unvorhersehbarkeit von Ansteckungsfällen zusammen. Aber die bestand auch schon vorher“.

Scheinbar ist sie nicht besonders besorgt, falls bei einem Kind grippeähnliche Symptome auftreten sollten. „Der Platzmangel könnte das einzige Problem sein. Ich glaube nicht, dass die Maßnahmen schwierig umzusetzen sein werden: Es ist nichts Neues, dass Kinder in der Schule krank werden; man hat sich immer um sie gekümmert und sie medizinisch versorgt“. Infolge der jüngsten, über soziale Netzwerke verbreiteten Schreckensmeldungen hat das staatliche italienische Gesundheitsamt (ISS) klargestellt, dass mit CoViD-19 infizierte Kinder nicht einfach von der Gesundheitsbehörde zwangseingewiesen werden, sondern dass die Eltern benachrichtigt und eingeschaltet werden. „Wie die Prozedur genau ablaufen soll, wenn ein Krankheitsfall auftritt, ist allerdings noch unklar“, bemerkt die Lehrerin.

Fernunterricht

Was wäre wenn die Schulen wieder schließen würden, würde man dann erneut zum digitalen Unterricht zurückkehren und vor dem heimischen Computerbildschirm lernen? Marchetti antwortet: „Ich denke, dass man nur bei Präsenzunterricht von echter Schule sprechen kann, denn Schule umfasst auch soziale Aspekte. Die Schulklasse ist als „Spielwiese“ für emotionale und soziale Entwicklung unersetzlich. Es ist kein Zufall, dass in den Richtlinien des Bildungsministeriums von einer „Bildungsgesellschaft“ die Rede ist. Digitale Medien haben sich in einer Ausnahmesituation wie dem Corona-Lockdown als wertvoll erwiesen und können im Rahmen pädagogischer Aktivitäten als Unterrichtshilfsmittel dienen, insbesondere im Hinblick auf ihren innovativen Charakter. Sie bieten sehr großes Potenzial, doch bleiben sie Hilfsmittel. In diesem Zusammenhang wäre es interessant, Pädagogen hinzuzuziehen und deren Standpunkt zu kennen. Stattdessen werden in der Schuldebatte häufig alle möglichen Experten um Rat gefragt, nur sie nicht“.

Letztendlich blickt Marchetti dem 14. September entgegen, dem Datum, das sich Lehrer und Eltern in ihrem Terminkalender rot eingekreist haben. „Ich glaube und hoffe, dass die Schulen wieder aufmachen werden. Es herrschen zwar Bedenken, ebenfalls von Seiten der Schulgewerkschaften. Doch in Wirklichkeit wollen die Lehrer zurück in die Schule“. Von der Zukunft erhofft sich Marchetti eine Allianz zwischen Schule, Familie und Lokalverwaltung, ein Bündnis, das „in den vergangenen Jahren stark unter der bürokratischen Last gelitten hat. Stattdessen muss man zum Herzstück des Schulwesens zurückzukehren, d.h. zur Vermittlung von Wissen durch menschlichen Kontakt und soziale Beziehungen. Und daran“, so ihre Schlussfolgerung, „kann selbst soziale Distanzierung nichts ändern“.

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