Die Oberste Kammer des mexikanischen Verfassungsgerichts Suprema Corte de la Justicia de la Nación (SCJN) ist für Zivil- und Strafsachen zuständig. Seit 2015 hat die Richterin Norma Lucía Piña Hernández den Vorsitz inne. Sie legt heute ihren Kollegen einen Antrag vor, demzufolge es Minderjährigen erlaubt werden soll, ihre Geburtsurkunde entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu ändern und das biologische Geburtsgeschlechts durch das empfundene Geschlecht zu ersetzen.
Nach Ansicht der Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs sollte diese Änderung im Zivilstandsregister von Mexiko-Stadt direkt im Rahmen eines Verwaltungsvorgangs erfolgen und nicht im Rahmen eines Gerichtsverfahrens, wie bisher von den zuständigen Behörden und Bezirksrichtern praktiziert.
Derzeit dürfen nur Erwachsene ab 18 Jahren die Geschlechtsänderung eintragen lassen, während für Minderjährige ein gerichtliches Prüfverfahren vorgesehen ist, im Rahmen dessen alle Voraussetzungen, begleitenden Umstände und Möglichkeiten überprüft und detailliert analysiert werden. Selbst die Eltern oder Erziehungsberechtigten können keine sofortige Eintragung ins Register beantragen, ohne vorher ein Zivilverfahren zu durchlaufen.
Als ein entsprechender Antrag eines Kindes vor dem Obersten Gerichtshof landete, beschloss die Vorsitzende Piña Hernández jedoch, dem Antrag stattzugeben, da ihrer Meinung nach „[…] das Recht auf persönliche Identität und insbesondere das Recht auf Geschlechtsidentität mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verknüpft sind, so dass deren Anerkennung durch den Staat von entscheidender Bedeutung für die uneingeschränkte Wahrnehmung der Menschenrechte von Trans-Personen ist“.
Somit hat die Vorsitzende den Antrag zu einer „Menschenrechtsfrage“ erklärt. Am 13. Oktober haben die Richter des Gerichtshofs mit der Prüfung des Antrags begonnen.
Einige der führenden Vertreter des Landes, die sich für den Schutz der Familie einsetzen, sind jedoch anderer Meinung, so Rodrigo Iván Cortés, Präsident der Nationalen Familienbewegung Frente Nacional por la Familia (FNF). Während einer Pressekonferenz betonte er, dass die Notwendigkeit eines gerichtlichen Verfahrens zur Klärung solch heikler Fragen direkt aus dem Wunsch resultiere, Minderjährige zu schützen. Dabei komme dem Staat eine Schutzrolle zu, denn er habe sicherzustellen, dass bestimmte unabdingbare Voraussetzungen wie „ärztliche Gutachten und Rechtssicherheit“ erfüllt seien.
Das Obersten Verfassungsgerichts Mexikos steht bereits wegen einer anderen Verletzung des Schutzes der Familie und des ungeborenen Lebens im Mittelpunkt der Kontroverse, wie von iFamNews berichtet: „Der Oberste Gerichtshof hatte am 7. September die Abtreibung im Strafgesetzbuch [des Bundesstaates] Coahuila entkriminalisiert, am 9. September den Schutz des Lebens ab der Empfängnis im Bundesstaat Sinaloa für verfassungswidrig erklärt und dann versucht, das im Allgemeinen Gesundheitsschutzgesetz das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen einzuschränken“.
Als Gegenreaktion auf diese Entscheidungen formierte sich eine breite Volksbewegung und demonstrierte unter dem Motto „Für Frauen und für das Leben“ (A favor de la mujer y de la vida) im ganzen Land. Daran beteiligten sich etwa eine Million Menschen, davon allein 300.000 in Mexiko-Stadt.
Dem Obersten Gerichtshof wird neben Autoritarismus auch vorgeworfen, den Willen und die Gefühle des mexikanischen Volkes zu missachten. Mexiko, so Mario Romo, Geschäftsführer der Vereinigung zum Familien- und Lebensschutz Red Familia, „ist nach wie vor ein demokratisches Land“, in welchem – so der Slogan der Vereinigung – die Familie die Lösung ist.
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