Professor Klaus Schwab ist intelligent, kompetent und informiert. Daher lohnt es sich, seine Analysen sorgfältig zu studieren und darauf zu prüfen, was sie sagen und was sie nicht sagen.
Schwab ist Gründer und Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos und Autor des bekannten Buches CoViD-19: The Great Reset. Vor kurzem hat er das Buch Stakeholder Capitalism: A Global Economy that Works for Progress, People and Planet veröffentlicht. Darin zieht er eine sehr positive Bilanz über das wirtschaftliche Wachstum seit dem Bretton-Woods-Abkommen von 1944, welches seiner Meinung nach zu großem Wohlstand und einem gewissen Grad an Frieden sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf internationaler Ebene geführt hat. Schwab weist jedoch darauf hin, dass sich bereits in den 1970er Jahren die ersten Schwachstellen abzeichneten, nämlich die „Grenzen des Wachstums“. Diese Grenzen wurden im „Meadows-Report“, einem 1972 vom „Club of Rome“ unter dem Vorsitz des italienischen Unternehmers Aurelio Peccei beauftragten Bericht, aufgezeigt, der das im Verhältnis zu den verfügbaren Ressourcen „übermäßige“ Bevölkerungswachstum als größte Bedrohung für die „Nachhaltigkeit“ des sozioökonomisch-politischen Systems nennt.
Da die Menschen heute nicht nur Ressourcen verbrauchen, sondern auch Kohlendioxid ausstoßen, ist die Erdbevölkerung inzwischen zur größten Bedrohung für die „Gesundheit“ des Planeten geworden.
Die Bevölkerungsfrage, da hat der Experte aus Davos recht, ist in der Tat von entscheidender Bedeutung, aber genau umgekehrt, als von ihm angenommen. Die eigentliche Gefahr ist nicht eine demografische Explosion, sondern ein langer demografischer Winter, der das Paradigma des schuldengetriebenen Wachstums und der Finanzialisierung der Wirtschaft des letzten Vierteljahrhunderts durchbrechen könnte, das sich nach der großen Finanzkrise von 2007-2009 noch verschärft hat und aktuell nach der CoViD-19-Krise einen neuen Höhepunkt erreicht hat.
Für Schwab liegt der Fehler in der Wende begründet, die durch die Wirtschaftspolitiken der „Reaganomics“ und des „Thatcherismus“ in den 1980er Jahren eingeleitet wurde. Man habe „mehr auf Marktfundamentalismus und Individualismus und weniger auf staatliche Intervention oder die Umsetzung des Gesellschaftsvertrags“ gesetzt.
Schwab vertritt die Auffassung, dass das vorherrschende Wirtschaftsmodell – definiert als „Shareholder-Kapitalismus“, bei dem die Verantwortung der Unternehmen auf die Erzielung von Gewinnen für die Aktionäre, ohne darüber hinausgehende „soziale“ Auswirkungen beschränkt ist – dringend zugunsten des „Stakeholder-Kapitalismus des 21. Jahrhunderts“ aufgegeben werden muss, bei dem alle „Stakeholder“ – angefangen von den Kunden bis hin zu den Arbeitnehmer, von den Bürgern zu den Gemeinden, von den einzelnen Regierungen bis hin zum gesamten Planeten – berücksichtigt werden müssen, und zwar in einer nicht länger nationalen sondern globalen Perspektive, und somit einen neuen Multilateralismus erfordert.
Schwab teilt mit der italienischen Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato die Ansicht, dass „eine solide Regierung nicht nur ein Instrument für Ordnung und Regulierung sein sollte, sondern auch eine grundlegende Triebkraft für Innovation und Mehrwert für die Gesellschaft“.
Der Finanzsozialismus der Zentralbanken
Es ist jedoch paradox, dass das derzeitige Wirtschaftssystem als „neoliberal“ kritisiert wird und damit suggeriert wird, es gebe ein „Übermaß an Freiheit“ für Privatpersonen, welches eine harmonische Entwicklung der „Welt“ behindere. In Wirklichkeit zeichnen sich die heutigen modernen Staaten alle mehr oder minder durch eine sehr bedeutende Stellung des Staates in Hinblick auf das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben, durch einen hohen Steuer- und Abgabendruck, durch ein hohes Maß an Kollusion zwischen großen Industrie- und Finanzkonzerne und der politischen Führungsriege (den so genannten „Crony Capitalism“) und durch ein staatliches Geldmonopol aus, bei dem die Geldmenge von den jeweiligen Zentralbanken, die immer aktiver in die Führung der Finanz- und damit der Wirtschaftssysteme ihrer Länder eingreifen, nach Belieben gesteuert wird.
Mit anderen Worten, von den Ansätzen des Etatismus und des Klientelkapitalismus ausgehend bewegen wir uns immer rascher auf eine Situation zu, die man als „Finanzsozialismus der Zentralbanken“ bezeichnen könnte – sehr zum Nachteil der Familien, der Sparer und Kleinanleger, der kleinen und mittleren Unternehmen.
Das Herzstück des von Schwab ersehnten „Stakeholder-Kapitalismus des 21. Jahrhunderts“ setzt sich jedoch aus zwei Faktoren zusammen, dem Menschen und dem Planeten: „Das Wohlergehen der Menschen in einer Gesellschaft wirkt sich auf das Wohlergehen anderer Menschen in anderen Gesellschaften aus, und es liegt an uns allen als Weltbürger, das Wohlergehen aller zu steigern“. Doch Schwabs abstrakte „Weltbürger“ existieren nur in einer ideologischen Vision. Konkrete „Menschen“ hingegen existieren tatsächlich immer, sie gestalten die Beziehungen mit ihren Familien und mit der Gesellschaft, in der sie leben, und tragen alle eine Geschichte (und eine geographische Verankerung) sowie eine Weltanschauung mit sich.
Ökologismus, was sonst
Was den „Planeten“ anbelangt, so bezeichnet Schwab ihn als „den zentralen Stakeholder im globalen Wirtschaftssystem, dessen Gesundheit durch die Entscheidungen aller anderen Stakeholder verbessert werden sollte. Nirgendwo wird dies deutlicher als in dem sich vollziehenden weltweiten Klimawandel und den daraus resultierenden extremen Wetterereignissen.“
Die Theorie der „anthropogenen Klimaerwärmung“, die diesen Behauptungen zugrunde liegt, hat keine solide wissenschaftliche Grundlage: Der „Planet“ ist zu komplex, um nach Belieben gesteuert zu werden. Die Behauptung, die Temperatur zu senken, wie man es mit der Klimaanlage zu Hause tut, und das Bestreben, das Klima durch eine „ökologische Umstellung“ zu verändern, die wahrscheinlich sehr kostenintensiv und zum Nachteil der Steuerzahler ist und mit unvermeidlichen schwerwiegenden Folgen auf den Wettbewerb und damit auf künftiges Wirtschaftswachstum einhergeht, scheinen eher ideologischer als wissenschaftlicher Art zu sein; sie verfolgen derart weitreichende wirtschaftliche und finanzielle Interessen, dass selbst die Analysen alles andere als objektiv und unabhängig sind.
Sollte das globale gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Modell der „Post-Pandemie-Ära“, wie Schwab es nennt, tatsächlich auf diesen beiden Pfeilern beruhen, dann sind freiheitsfeindliche Tendenzen zu befürchten. Während Gesellschaften und wirtschaftliche Initiativen historisch gesehen von unten her entstanden sind, von realen Menschen ausgehend, eingebettet in Familien und Gemeinschaften, und sich dann logisch weiterentwickelt haben, haben wir es hier mit einer dystopischen Vision zu tun, die auf einer verzerrten Anthropologie und einer umgekehrten Soziologie beruht. Mit anderen Worten, eine atomistische und materialistische, zentralistische und dirigistische Perspektive, bei der man vom Zentrum aus und von oben herab zu einer vermeintlich „besseren Welt“ hinführen möchte.
Schön, aber wo bleibt die Freiheit?
Im Prinzip wäre die Logik des „Stakeholder-Kapitalismus“ sogar akzeptabel, denn Unternehmen leben nicht im luftleeren Raum, im Gegenteil, sie sind in gesellschaftliche und politische Zusammenhänge eingebettet. Daher sollten sie nicht nur Gewinne für die Aktionäre erwirtschaften, die in einem freien und fairen Wettbewerb erzielt werden, indem sie ihre Kunden so gut wie möglich bedienen, sondern auch die Kosten etwaiger negativer Auswirkungen tragen und umfassendere Verantwortung nach dem Prinzip des Gemeinwohls, zu dem alle beitragen sollen, übernehmen.
Der Teufel steckt jedoch im Detail. In dem von Schwab vorgeschlagenen Modell wird die CoViD-19-Epidemie als „günstige Gelegenheit“ bezeichnet, um die Strategie des „Great Reset“ der derzeitigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Systeme umzusetzen.
Der Bezugsrahmen ist die UN-Agenda 2030 für eine sogenannte „nachhaltige Entwicklung“ und die vorgeschlagene (oder auferlegte?) Richtung ist der Übergang zu einem „New Normal“, einer Art globaler Governance, in der zunehmend aus supranationalen Gremien, Staaten, Zentralbanken und großen Finanz- und Wirtschaftskonzernen bestehende hochrangige „Kontrollräume“ die Rolle von Drahtziehern übernehmen und entscheiden, wo, mit welchen Mitteln und auf welche Weise „die Welt noch besser wiederaufgebaut werden soll“, gemäß dem Slogan „B3W“ bzw. „Build Back a Better World“ von US-Präsident Joe Biden und den G7-Ländern.
Von „Freiheit“ ist nirgendwo die Rede, auch nicht von Familie und Geburtenziffern und ebenso wenig von spirituellen Bedürfnissen: Der Ansatz bietet eine ausschließlich materielle und horizontale Sichtweise. Die einzige Vertikalität besteht darin, die Funktionen innerhalb der Staaten zu bündeln und die weltweite Governance zu steigern. Eine immanente und „perfektionistische“ Vision also, um es mit den Worten des Philosophen und Theologen Don Antonio Rosmini Serbati (1797-1855) zu sagen, die der Realität widerspricht und daher letztlich zum Scheitern verurteilt ist: Von der Bedeutung der verfolgten Ziele einmal abgesehen, verfügt keine zentrale Planungsinstanz über alle relevanten Informationen. Ganz zu schweigen von den „unbeabsichtigten Folgen absichtsgeleiteter menschlicher Handlungen“, vor denen schon der Begründer der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, Carl Menger (1840-1921), warnte.
Das Recht wird außer Kraft gesetzt
In der ständigen Notsituation, in der sich die Welt nach der Coronavirus-Krise befindet und die von den Medien oft skrupellos geschürt wird, scheint man jenen Ausnahmezustand zu erkennen, den der berühmte deutsche Philosoph und Jurist Carl Schmitt (1888-1985) beschrieben hat und in dem das Recht sozusagen außer Kraft gesetzt ist: Die politische Bewältigung des „Gesundheitsnotstands“ wirft in der Tat einige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit auf. Es scheint, als wirke er als eine Art Hebel, um die „Bürger“ dazu zu bringen, die Hoffnung auf mehr „Sicherheit“ und „Gesundheit“ von höchster Stelle zu akzeptieren, und zwar auf Kosten einer immer stärkeren Einschränkung der „Freiheit“ – und damit ist nicht nur die wirtschaftliche Freiheit gemeint.
Aber wie lassen sich solche Veränderungen durchsetzen?
In CoViD-19: The Great Reset stellt der WEF-Gründer fest, dass jenseits der Fakten und der „Realität“, „unsere menschlichen Aktionen und Reaktionen […] von Empfindungen und Gefühlen bestimmt werden: Narrative leiten unser Verhalten“. Das kann man so interpretieren, dass es mit dem richtigen Storytelling möglich sein wird, den Wandel nach und nach, mithilfe einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche von oben herab zu vollziehen. Die vorgeschlagene „Lösung“ für das reale Problem, wenn auch durch eine ideologische Lesart verzerrt, besteht in einer noch stärkeren Kontrolle der Bevölkerungsentwicklung, einer Veränderung des Konsum- und Investitionsverhaltens mit dem Ziel, den „Planeten zu retten“, einer Intensivierung der Beziehungen zwischen bedeutenden Wirtschafts- und Finanzgruppen, supranationalen Behörden, Regierungen und Zentralbanken. Es scheint, als lebten wir in einem ungewöhnlichen „Social Engineering“- Experiment. „Wann also kehren wir zur Normalität zurück?“: „Wann? Niemals“. Da steckt keine Verschwörungsgeschichte dahinter: Das sind die Worte von Klaus Schwab bzw. von Davos.