Die religiösen Minderheiten in Afghanistan sind nicht nur durch die Verbündeten der früheren Regierung, sondern auch die Herrschaft der Taliban gefährdet. Wie Carlo Fidanza, Europaabgeordneter der Partei Fratelli d’Italia und Mitvorsitzender der parlamentarischen Intergruppe für Religionsfreiheit, berichtet, ist die Situation mehr als beunruhigend: „Schon vor dem Abzug der Amerikaner aus Kabul befanden sich diese Minderheiten was Religionsausübung und Glaubensbekenntnis anbelangt in einem feindlich gesinnten Umfeld. Nun laufen sie Gefahr, zur Zielscheibe der brutalen Taliban zu werden“.
Der Appell
Fidanza skizziert die Lage in Afghanistan und erinnert an die etwa 10.000 Christen, die dort leben: „Viele von ihnen haben sich ‚schuldig gemacht’, da sie vom Islam zum Christentum konvertiert sind“, was der Scharia zufolge „ein Verbrechen ist und mit dem Tod bestraft wird“. Sie sind gezwungen, in Nachbarländer wie Pakistan auszuwandern. Doch besteht die Gefahr, vom Regen in die Traufe zu kommen, denn dort, so der Abgeordnete, „fordert das Gesetz gegen Blasphemie jeden Tag neue Opfer unter der christlichen Bevölkerung“. Fidanza forderte daher die EU-Kommission auf, Maßnahmen zu deren Schutz zu ergreifen und Chrīstos Stylianidīs, dem Sonderbeauftragten für die Förderung und den Schutz der Religions- und Weltanschauungsfreiheit außerhalb der EU, ein starkes Mandat zu erteilen. Bisher, so der Abgeordnete, habe die internationale Gemeinschaft der Situation der Christen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt.
Der Relativismus der Linken
„Bedauerlicherweise muss ich sagen, dass nicht nur den afghanischen Christen, sondern den Christen im Allgemeinen zu wenig Beachtung zuteil wird“, erklärt Fidanza gegenüber iFamNews. „Wir sind ein paar Stunden lang empört, wenn wir in den Nachrichten von einem Massaker an Christen, von einem getöteten Priester oder einer niedergebrannten Kirche hören. Aber wir unternehmen nichts dagegen. Es ist, als ob der Westen diese Gemeinden als etwas Fremdes betrachtet statt als Bestandteil der eigenen Kultur und Zivilisation“. Fidanza betont, dass „ein ideologischer Relativismus vorherrscht, der den Glauben aus der Öffentlichkeit verdrängen will und die Politik zu einer zurückhaltenden Haltung gegenüber Regierungen veranlasst, die die Religionsfreiheit ständig verletzen“. Den Beweis dafür liefern tagtäglich die europäischen Institutionen, fügt Fidanza erläuternd hinzu: „Die Linken, die Liberalen, die Grünen und leider oftmals auch die Volkspartei tun so, als ob sie die Christenverfolgung nicht sähen und nicht wüssten, dass es sich dabei um den derzeit größten Völkermord der Welt handelt“.
Reinste Heuchelei
Folgende Worte Fidanzas decken eine riesige Heuchelei auf: „In der fortschrittsorientierten Rhetorik werden neue Rechte zu unveräußerlichen Menschenrechten proklamiert, beispielsweise das Recht auf Migration in ein anderes Land; das Recht, unseren Kindern eine ‚Gender-Diktatur’ aufzudrängen; das Recht zur Legalisierung von Leihmutterschaft und Abtreibung. Aber wenn es um den Schutz der kulturellen und religiösen Identität, der Familie und der nationalen Zugehörigkeit geht, dann sieht es ganz anders aus. Es interessiert einfach niemanden“.
Dialog mit den Taliban?
Fidanza ruft daher zu sofortigem Handeln auf, schließt aber einen Dialog mit den derzeitigen Machthabern in Afghanistan, den Taliban, aus. „Wie ich bereits mehrfach erklärt habe, halte ich es für unverantwortlich, von einem ‚Dialog’ zu sprechen, solange Massenhinrichtungen und Hausdurchsuchungen weitergehen. Die internationale Gemeinschaft muss den Taliban strenge Bedingungen stellen, bevor sie sich mit ihnen an einen Verhandlungstisch setzen und ihre Regierung anerkennen“, so der Abgeordnete der Partei Fratelli d’Italia weiter. Er merkt an, dass „die Hoffnung auf eine integrative Regierungsbildung praktisch verloren ist: Zumindest brauchen wir angemessene Garantien im Hinblick auf die Anerkennung der Frauen und der ethnischen und religiösen Minderheiten sowie das Ende jeglicher Repressalien gegen Andersdenkende“. „Unglücklicherweise“, fügt er hinzu, „hat der überstürzte und dramatische Abzug der Militärtruppen die Verhandlungsmacht des Westens geschwächt. Das ist ein tragischer Fehler, den US-Präsident Joe Biden begangen hat“.
Humanitäre Korridore
Fidanza ist der Ansicht, man müsse den Taliban klar machen, dass es keine Kompromisse zum Thema Frauen und religiöse Minderheiten geben kann. „Die Lösung, die heute in aller Munde ist, heißt ‚humanitäre Korridore’“, erklärt er. „Jedoch stellen diese keine nachhaltige Lösung dar und bedeuten darüber hinaus eine weitere Niederlage. Denn das afghanische Volk, darunter auch Christen und Frauen, sollten frei sein und die Möglichkeit haben, friedlich in ihrer Heimat zu leben, und nicht zur Auswanderung gezwungen zu sein“. Er erwartet vom Europäischen Rat, der G7 und der G20 „neue und realistische Lösungen, die ohne Massenevakuierungen aus dem Afghanistan auskommen“.