Was geschieht mit dem „vierten Kind“ chinesischer Paare?

Das Bevölkerungsgesetz wurde geändert, um ein „drittes Kind“ zu erlauben. Trotzdem entscheidet die totalitäre chinesische Regierung wer lebt und wer stirbt.

Bimbo cinese

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In China können Paare ein drittes Kind in die Welt setzen. Die Nachricht ist nicht neu. Sie ist bereits seit Monaten im Umlauf, oder besser gesagt offiziell. Die neue Regierungskonzession ist seit dem 31. Mai in Kraft. Freilich war dies, wie iFamNews damals sofort berichtete, de facto eine Freigabe, auch wenn das Dekret zur Liberalisierung des „dritten Kindes“ nicht vorlag. Aber wenn in einem totalitären Land wie dem neo-postnational-kommunistischen China, wo eine umfassende Kontrolle der Bürger mithilfe modernster Technologie praktiziert wird, die Nachricht über die regimetreueste Presse, nämlich die Nachrichtenagentur Xinhua und die englischsprachigen Zeitungen People’s Daily und Global Times, auf der ganzen Welt verbreitet wird, hegt niemand mehr Zweifel.

Die Nachricht ist jedoch heute wieder brandaktuell, denn am 20. August billigte der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses, Chinas Einkammerparlament, Änderungen am Bevölkerungs- und Familienplanungsgesetz (englische Übersetzung hier verfügbar), das 2001 mit bürokratischer Akribie den rechtlichen Rahmen für die Bevölkerungspolitik des Landes festlegte. In einem Versuch, die durch die maoistische Politik verursachten sozioökonomischen Misserfolge zu beheben, wurde 1979 die Ein-Kind-Politik beschlossen, die massenhafte Zwangsabtreibungen, Sterilisationen und Kindstötungen nach sich zog und die voller Stolz in Artikel 25 der Allgemeinen Grundsätze der 1982 verabschiedeten Vierten Verfassung der Volksrepublik China aufgenommen wurde.

Das Rahmengesetz aus dem Jahr 2001 war jedoch bereits am 27. Dezember 2015 geändert worden, als chinesischen Paaren erlaubt wurde, ein zweites Kind zu bekommen. Jetzt darf der Klapperstorch endlich zum dritten Mal herbeifliegen, doch bleiben noch immer mehr Fragen als Antworten offen.

Zuallererst und vorrangig, weil der Text der am 20. August angenommenen Änderung weiterhin aussteht. Mit anderen Worten: man kann immer noch nicht nachlesen, was genau das chinesische Regime beschlossen hat, welche Grenzen es gesetzt hat, welche Beschränkungen es aufgehoben hat und wie die Zukunft aussieht. Internetrecherchen bringen keine neuen oder hilfreichen Erkenntnisse, ebenso wenig wie die wenigen in englischer oder italienischer Sprache verfügbaren Presseberichte, in denen das von Xinhua veröffentlichte, vage Kommuniqué des Regimes aufgegriffen wird.

Wir von iFamNews sind froh, dass es die Ein-Kind-Politik nicht mehr gibt; wir freuen uns, dass die Zwei-Kind-Politik nur noch eine Erinnerung ist; wir danken dem Himmel, weil die Politik des „dritten Kindes“ die Zahl der Zwangsabtreibungen, der Sterilisationen, der auf der Straße zum Sterben zurückgelassenen Babys und der ihren Eltern weggenommenen Kinder, die auf dem Schwarzmarkt verkauft werden, erheblich verringern wird. Gleichzeitig jedoch machen wir uns Sorgen um das chinesische „vierte Kind“. Und das fünfte, das sechste, das siebte und so weiter.

Ich sage es gleich, damit es ein für alle Mal klar ist. Jede Politik, die die Zahl der Todesfälle durch Abtreibung, Maßnahmen zur Verringerung der Geburtenrate, die Zerstörung der Familie, Empfängnisverhütung, Sterilisierung von Frauen und Männern, Aussetzung von Kindern und somit deren Tod sowie Menschenhandel mit den überlebenden Kindern, reduziert, ist positiv – unabhängig davon, wer sie erlässt, beschließt und umsetzt, ganz gleich welcher Politiker, welche Partei, welches Regime. Es ist gut, dass in China weniger Menschen sterben und leiden. Aber wie wir wissen, ist es moralisch nicht akzeptabel, sich mit dem geringeren Übel zufrieden zu geben. Entweder die ganze Wahrheit oder gar nichts.

Allein die Vorstellung, dass der Staat entscheidet, wie viele Kinder eine Familie haben kann, ist totalitär. Die Vorstellung eines totalitären Staates, der die Familie wie ein Brettspiel kontrolliert und die Spielfiguren nach eigenem Belieben mal rauswirft mal ziehen lässt, ist absurd. Die demografischen Anreizmaßnahmen, die von den Staaten aus rein wirtschaftlichen und machtpolitischen Erwägungen gefördert werden, überzeugen mich eigentlich nie, aber dennoch begrüße ich selbstverständlich alles, was dem Leben und der Familie förderlich ist: Wenn jedoch die Logik nur der willkürlichen Notwendigkeit folgt (heute der Bevölkerungsrückgang, gestern der angebliche Bevölkerungsüberschuss), ist das Spiel, das der Staat spielt, immer ein Todesspiel.

Ich frage mich, oder besser gesagt, ich frage das chinesische kommunistische Regime sowie den Rest der Welt (damit der Rest der Welt ebenfalls das chinesische kommunistische Regime fragt), was mit chinesischen Paaren nach dem dritten Kind geschieht. Mit anderen Worten: Wird das vierte Kind so enden wie das dritte Kind, als der totalitäre Staat nur zwei Kinder zuließ, oder wie das zweite Kind, als der totalitäre Staat nur eines erlaubte? Wird er oder sie noch im Mutterleib von der Staatsräson getötet? Werden ungehorsame Familien bestraft, mit Geldstrafen belegt, gar schikaniert? Werden die chinesischen Paare, die sich der Zwangsabtreibung entziehen und eine vom totalitären Staat unerwünschte Schwangerschaft austragen, ihr kleines Geschöpf aus Angst vor Repressalien dennoch irgendwo aussetzen? Werden die Menschenhändler, von Beamten des Regimes geduldet oder sogar unterstützt, den verängstigten Müttern durch Erpressung das vierte Kind, sofern es überlebt hat, wegnehmen, um damit Profit zu machen?

Die am 20. August angenommenen neuen Änderungsanträge bleiben aus. Ich weiß nicht, wo ich mich informieren könnte und dabei läuft mir ein Schauer über den Rücken. Wenn man weiß, was nach dem dritten Kind passiert, hat man die entscheidende Antwort auf die ganze Frage.

Das chinesische Regime hat das Schicksal der Zweit- und Drittkinder, als diese noch verboten waren, nie schriftlich festgehalten. Es hat nicht geschrieben, diese Kinder niederzumetzeln; es hat auch nicht festgelegt, Mütter wie Tiere sterilisieren zu lassen; es hat nicht beschrieben, welch grausamen Vergeltungsmaßnahmen gegen ungehorsame Paare ergriffen werden; es hat nicht eingeräumt, Kinder auf der Straße dem Tod zu überlassen bzw. die überlebenden Kinder aus ihren Familien zu entführen. Und doch hat sich das Regime allerorten damit gebrüstet, Chinas Bevölkerung um Millionen „gesenkt“ zu haben. Daher werde ich keine schriftliche Aussage finden, was von nun an mit dem vierten, fünften, sechsten, x-ten Kind in China passiert – selbst wenn ich irgendwann zu lesen bekomme, worüber die Welt spricht, ohne es gelesen zu haben.

Deshalb wird meine Frage an die totalitäre chinesische Regierung – die wieder einmal darüber entscheidet, wer wann lebt und wer wann stirbt – immer lauter, sie wächst und wird zu einem wütenden Aufschrei.

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