Last updated on Mai 10th, 2021 at 06:21 am
Die Fälle von Euthanasie und Suizidbeihilfe in Belgien und den Niederlanden sind in den letzten zwei Jahrzehnten rasant angestiegen, vermelden die jeweiligen Euthanasiekommissionen der beiden Länder. In Belgien und den Niederlanden sind Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid seit 2002 erlaubt.
In den Niederlanden stieg die Zahl der Fälle demnach von 1.882 (2002) auf 6.361 Fälle (2019) an, in Belgien von 24 Fällen (2002) auf 2.656 Fälle (2019).
Das österreichische Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) verwies jetzt auf zwei Studien, die diese Entwicklung kritisch betrachten und beleuchten, wie sich die massiven Zuwächse in den beiden Ländern erklären lassen.
IMABE wurde 1998 auf Initiative von Medizinern, Juristen und Geisteswissenschaftlern gegründet, um den Dialog von Medizin und Ethik in Forschung und Praxis auf Grundlage des christlichen Menschenbilds zu fördern. Das Institut arbeitet im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz.
In Belgien ist das Kontrollsystem, welches vor Missbrauch bei Tötung auf Verlangen und Assistiertem Suizid schützen soll, de facto gescheitert, urteilt ein Forscherteam um den Ethiker Kaspar Raus von der Universität Gent. Schätzungen zufolge wird in Belgien zudem jeder dritte Euthanasie-Fall nicht gemeldet.
Auch in den Niederlanden nehmen immer mehr Senioren „Sterbehilfe“ in Anspruch. Hier stieg der Anteil derjeniger, die unter dem Älterwerden leiden. Die Senioren werden dann mit einem „multiplen geriatrischen Syndrom“ diagnostiziert. Ethiker und Gesundheitswissenschaftler der Universität Utrecht untersuchten dieses Phänomen und kamen zum Schluss, dass Leiden im Alter nicht bloß auf körperliche Gebrechen zurückzuführen sei. Existentielle Krisen und Einsamkeit können ebenfalls die Sinnhaftigkeit des Lebens in Frage stellen und das Leben unerträglich erscheinen lassen.
Die beiden Studien müssten dem österreichischen Gesetzgeber zu denken geben, kommentierte die Wiener Ethikerin und Geschäftsführerin von IMABE, Susanne Kummer. „Das Bild des freien, selbstbestimmten Todes gerät angesichts des älteren Menschen, der sozial vereinsamt immer mehr Angst vor seiner Hinfälligkeit bekommt und deshalb Tötung auf Verlangen oder Beihilfe zum Suizid wählt, ins Wanken“. Wann zum Beispiel verursacht eine Anhäufung von geriatrischen Syndromen „unerträgliches Leiden“ „ohne Aussicht auf Besserung“?
Die IMABE-Geschäftsführerin fordert zu „mehr Realismus in der Sterbehilfe-Debatte“ auf: Statt von einer „freien“ sollte man im Kontext von Alterseinsamkeit und Fragilität besser von einer „prekären Selbstbestimmung“ sprechen, so Kummer. „Älteren Menschen wird zunehmend vermittelt, dass Altwerden eine Krankheit ist und die Therapie für existentielle Nöte Tötung bedeutet. Da sind wir auf der schiefen Ebene.“
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