Was hat es wirklich zu bedeuten, dass die Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen vom ungarischen Parlament nicht ratifiziert wurde? Ist der Grund, dass Präsident Viktor Orbán eine geschlechterspezifische Gewalt fördern will, wie es die Zeitungen berichtet haben…?
Die Istanbul-Konvention ist die erste internationale rechtsverbindliche Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Sie wurde 2011 vom Europarat verabschiedet und ist seit 2013 Teil des italienischen Rechtssystems, dank ihrer Ratifizierung seitens Italiens mit dem Gesetz 77 vom 27. Juni desselben Jahres.
Die Konvention verpflichtet Staaten, die sie unterschreiben, dazu, eine angemessene rechtliche Reaktion gegen Verbrechen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt, aber auch Stalking, Zwangsehen und Genitalverstümmelung zu identifizieren zu gewährleisten. Auch Ungarn hatte 2014 das Traktat förmlich unterschrieben, aber jetzt mit 115 zu 35 Stimmen und 3 Enthaltungen doch dagegen gestimmt. Warum?
Weil jede Form von Gewalt gegen Frauen abscheulich ist und in jedem Land mit allen Mitteln und mit äußerster Härte bestraft werden muss. Die ungarische Gesetzgebung sieht bereits Maßnahmen vor, um dieser Art von Missbrauch entgegenzuwirken, die seit 2013 im Strafgesetzbuch (unter anderem von Orbán persönlich gefördert) eine unabhängige gesetzliche Definition erhalten hat.
Insbesondere gibt es aber zwei weitere präzise Argumente dafür, warum das Budapester Parlament die Konvention nicht unterstützen möchte.
Das erste bezieht sich auf Artikel 3 der Konvention, der eine soziale und nicht biologische Definition des Geschlechts beinhaltet und dabei verneint, dass nur zwei Geschlechter existieren. Er fördert stattdessen die gesamte Konstellation sogenannter nicht-binärer Menschen gemäß der LGBT+-Lobby. Dies wiederspricht jedoch der ungarischen Verfassung, insbesondere im Punkt, dass eine Ehe als Vereinigung von Mann und Frau definiert wird, den einzigen (offensichtlich) anerkannten Geschlechtern und jede andere Möglichkeit der Partnerschaft von der Definition „Ehe“ ausgeschlossen wird.
Aus diesem Grund erklärte die Abgeordnete Lorin Nacsa, Sprecherin der Christliche-Demokratischen Volkspartei, dass die Konvention: „[…] einen ideologischen Ansatz verfolg, der gegen das ungarische Recht und die Überzeugungen der Regierung verstößt.“
David Vig, Direktor der ungarischen Sektion von Amnesty International, protestierte gegen die Entscheidung des Parlaments und argumentierte mit der angeblichen Zunahme häuslicher Gewalt im Zusammenhang mit der Coronavirus-Epidemie.
Das zweite Argument betrifft ein andere Frag, die für die ungarische Regierung und ihre Einwanderungspolitik von zentraler Bedeutung ist. In der Tat sieht die Konvention in Kapitel VII, Artikel 60 eine Art „automatisches“ Asylrecht für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt vor, das möglicherweise die Türen (und Grenzen) für eine große Anzahl von Menschen öffnet, die auf der Grundlage dieses Kriteriums in das Land einreisen könnten.
In beiden Fällen entpuppt sich daher der sakrosankte Kampf für Frauenrechte und der Schutz ihrer Sicherheit bei näherer Betrachtung als trojanisches Pferd, das nach Ungarn und in seine Verfassung eindringen will, um Positionen zu fördern, die weit entfernt von denen der rechtmäßig gewählten Regierung sind.