Die so genannte „cancel culture“ hat in Kanada einen Schritt in Richtung Abgrund gemacht. Waren von der religionsfeindlichen Zerstörungswut bisher nur Statuen betroffen, so werden nun im Namen der neuen säkularen Religion Kirchen niedergebrannt. In der nordamerikanischen Nation handelt es sich inzwischen um ein Dauerphänomen. In etwas mehr als einem Monat haben die Flammen mehrere Sakralbauten verschlungen, die Mehrzahl davon katholisch. Die Vorfälle haben ein derartig großes internationales Medienecho ausgelöst, dass sogar das Wall Street Journal das Thema aufgegriffen hat.
Dunkles Kapitel der Geschichte
Wie die New Yorker Zeitung berichtet, ermittelt die Polizei in mehr als 15 Fällen von Brandstiftung, einige lokale Medien melden sogar Dutzende weitere Vandalenakte. Sowohl vorsätzliche Brandstiftung als auch gewöhnlichere Motive kommen in Frage. Bislang hat sich niemand zu den Taten bekannt. Es wird allgemein vermutet, dass die Angriffe eine Reaktion auf die jüngste Entdeckung von anonymen Gräbern sind. Die Gräber befinden sich in der Nähe von Internaten für indigene Kinder, die unter staatlicher Aufsicht von katholischen Einrichtungen betrieben werden. Es ist die Rede von mehr als 4.000 toten Kindern, deren Überreste nie an ihre Familien übergeben worden sind. Ein dunkles Kapitel der kanadischen Geschichte wurde aufgedeckt, das von Nötigung und Gewalt gegen Kinder zeugt. Wenn dies wahr ist, ist die Angelegenheit unbedingt und uneingeschränkt zu verurteilen. Aber es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass man etwas vollkommen falsch deutet. Das Abfackeln von Kirchen bringt auch kein Licht in die Sache. In der Zwischenzeit hat die katholische Kirche der indigenen Bevölkerung die Hand gereicht: Vom 17. bis 20. Dezember wird Papst Franziskus eine Delegation kanadischer „Indianer“ im Vatikan empfangen.
Die Proteste
Der Verdacht, dass zwischen der Entdeckung der Kinderleichen und den antikatholischen Übergriffen ein Zusammenhang besteht, wird durch einen zufälligen Umstand bekräftigt: Die ersten beiden Brände ereigneten sich am 21. Juni, dem Nationaltag der indigenen Völker in Kanada. Die dabei zerstörten Sakralbauten befanden sich beide auf so genanntem „indigenen Territorium“, d. h. in ehemaligen Indianerreservaten. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich auch in den darauffolgenden Tagen. Während einige Kirchen dem Feuer übergeben wurden, breitete sich eine Protestwelle in der Zivilbevölkerung aus. Diese führte schließlich zu einem – von den Behörden akzeptierten – Aufruf, die Feierlichkeiten zum kanadischen Nationalfeiertag am 1. Juli abzusagen, als Zeichen des Protests gegen die Mitschuld des Staates an Verbrechen gegen Kinder.
Trudeaus zaghafte Verurteilung
In diesem gesellschaftlich konfliktreichen Klima schaltete sich der kanadische Premierminister Justin Trudeau am 2. Juli ein und bezeichnete die Vandalismustaten als „inakzeptabel und falsch“. Er fügte hinzu: „Ich verstehe die Wut gegen die Bundesregierung und gegen Institutionen wie die katholische Kirche. Sie ist real und angesichts der beschämenden Geschichte, die uns immer mehr bewusst wird, völlig verständlich.“ Nun, die Worte des Premierministers haben für einige Verwirrung gesorgt: Seine Bemerkung über die „völlig verständliche“ Wut wird als eine Art Rechtfertigung der Angreifer gesehen. Wesentlich deutlicher als Trudeau verurteilten einige Indianerhäuptlinge, wie Clarence Louie vom Stamm der Osoyoos, die Gewalt und sprachen ohne Umschweife von „kriminellen Handlungen“. Ein weitere Stammesführerin, Bonnie Jacobsen sagte, die Brände seien ein Zeichen „totaler Verachtung unserer Ältesten und Vorfahren“. Viele kanadische Ureinwohner waren und sind noch immer gläubige Katholiken.
Aufklärung der Geschehnisse der Vergangenheit
Zu dem Thema hat die kanadische Schriftstellerin Meghan Murphy in der Zeitschrift Unherd darauf hingewiesen, dass einige Aspekte dieses historischen Skandals mehr oder weniger absichtlich missverstanden wurden. Zunächst einmal habe sich im kollektiven Bewusstsein die Idee verfestigt, dass die Überreste von Kindern stammen, die Opfer eines Mordes wurden. In Wirklichkeit starben sie an Grippe und Tuberkulose, für Kinder der damaligen Zeit ganz gewöhnliche Ursachen. Des Weiteren erinnert Murphy daran, dass das Thema bereits seit 2015 bekannt war. Damals wurde in einem Bericht der parlamentarischen Wahrheits- und Versöhnungskommission die Praxis beschrieben, sehr junge Schüler dieser Schulen in den angrenzenden Gärten zu begraben, um Bestattungskosten zu sparen. Schließlich stellt sie fest, dass die Gräber nicht anonym und namenlos angelegt worden waren. Vielmehr seien die Namen aufgrund von Alter und Vernachlässigung der Gräber nicht mehr auf den Grabsteinen erkennbar. „Es ist völlig verständlich, schockiert und empört zu sein“, stellt Murphy fest, „aber es ist wichtig, die tatsächlichen Umstände aufzuklären“. Nicht zuletzt, damit künftig keiner mehr fadenscheinige Vorwände nutzen kann, um ausgebrannte Kirchen zu rechtfertigen.