In seiner Stellungnahme macht der deutsche Kardinal, der im Juni 2017 von Papst Franziskus überraschend entlassen wurde, deutlich, dass er derzeit eine besorgniserregende Entwicklung in der Kirche sieht. Er wendet sich sowohl gegen einen starken Papalismus, der die sakramentale Lehrautorität jedes einzelnen Bischofs untergräbt, als auch gegen die Aushöhlung des Weiheamtes und der Autorität durch die Delegation von Führungspositionen in der römischen Kurie und in den Diözesen an Laien.
“Es ist kein Fortschritt in der Ekklesiologie”, schrieb er, “sondern ein eklatanter Widerspruch zu ihren Grundprinzipien, wenn alle Jurisdiktion in der Kirche aus dem Jurisdiktionsprimat des Papstes abgeleitet wird. Auch das große Gerede von Amt, Synodalität und Subsidiarität kann den Rückfall in eine theokratische Auffassung des Papsttums nicht verbergen.”
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[Mit freundlicher Genehmigung von Kardinal Gerhard L- Müller drücken wir seine Wortmeldung im Wortlaut ab.]
Es ist kein Fortschritt in der Ekklesiologie, sondern ein eklatanter Widerspruch zu ihren Grundprinzipien, wenn alle Jurisdiktion in der Kirche aus dem Jurisdiktionsprimat des Papstes deduziert wird. Auch der große Wortschwall von Dienst, Synodalität und Subsidiarität kann den Rückfall in eine theokratische Konzeption des Papsttums nicht verdecken. Diese Ideale sollte man nicht nur als Desiderate an andere reichten, sondern im vorbildlichen Umgang mit den eigenen Mitarbeiten, besonders den Priestern, täglich selbst beweisen.
Man muss sich absolut klar sein über den fundamentalen Unterschied der kirchlichen Vollmacht des Papstes als Nachfolger Christi und seinen politisch-weltlichen Funktionen als Souverän des Vatikanstaats oder des Heiligen Stuhles als völkerrechtliches Subjekt. Jede kirchliche Jurisdiktion ist apostolisch-sakramentaler Natur und auf das Heil der Seelen bezogen im Unterschied von der politisch-juridischen Natur der Machtausübung in einem Staat, auch dem Vatikanstaat. Petrus handelt in der Autorität Christi als dessen Stellvertreter. Seine Vollmacht zu binden und zu lösen, ist keine Teilhabe an der Omnipotenz Gottes. Denn er hat nicht zu ihm gesagt: „Dir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden“ (vgl. Mt 28, 18). Die apostolische Vollmacht des Papstes und der Bischöfe ist nicht eigenen Rechtes , sondern nur eine verliehen geistlcihe Vollmacht , um dem Heil der Seelen zu dienen durch die Verkündigung des Evangeliums, die sakramentale Vermittlung der Gnade und die pastorale Leitung des pilgernden Gottesvolkes zum Ziel des ewigen Lebens. Da Petrus Jesus aufgrund der Offenbarung des Vaters als den Sohn des lebendigen Gottes bekannte, gab Christus ihm die Verheißung: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine (!) Kirche bauen.“ (Mt 16, 18).
Eine total auf den Papst fixierte Kirche war und ist immer die Karikatur der katholischen „Lehre von der Einrichtung, Dauer, Gewalt und Sinn des dem Bischof von Rom zukommenden heiligen Primates“ (Lumen gentium 18). Mit dieser Konzeption ist jede Ökumene mit den Orthodoxen und Protestanten von vornherein zum Scheitern verurteilt. Auf die klassische Trennung von potestas ordinis und jurisdictionis, die eine päpstliche Totaljurisdiktion begründen soll, hat das II. Vatikanum wegen ihrer Unzulänglichkeit verzichtet. Schon nach Thomas von Aquin bedeutet die potestas ordinis nicht bloß die Vollmacht, Sakramente zu spenden. Potestas ordinis heißt vielmehr, dass in der Weihe alle Vollmachten übertragen werden, wenn auch das Hirtenamt in seiner konkreten Jurisdiktion eingeschränkt werden kann (S.th. II-II q. 39 a.3). Es gibt also nicht zwei gleichwertige Kategorien von potestas ecclesiastica, sondern nur die eine potestas ordinis, von der die potestas jurisdictionis einen integralen, aber untergeordneten Teil bildet. Auch die Trennung des Bischofs von Rom mit seiner potestas ordinis für seine Diözese von der potestas juridictionis des Papstes als Nachfolger Petri für die Universalkirche widerspricht formell dem Dogma des I. Vatikanums (Dog. Const. Pastor aeternus 2. Cap. Canon: “Si quis dixerit… Romanum pontificem non esse beati Petri in eodem primatu sucessorem anathema sit.; DH 3058).
Die römische Kurie ist die institutionalisierte Mitwirkung der römischen Kirche am petrinischen Primat. Sie kann nicht nach den Kriterien einer multinationalen Stiftung rein weltlich organisiert werden. Das scheint das unaufgelöste Grundproblem im Ansatz von „Praedicate Evangelium“ zu sein. Es rächt sich, wenn bei der Ausarbeitung wichtiger päpstlicher Dokumente die systematische Theologie vernachlässigt und statt klarer dogmatischer Prinzipien eine Kombination von spirituellen Desideraten und weltlichen Machtkategorien den hermeneutischen Grundansatz bestimmt.
Die Kirche als universales Sakrament des Heils der Welt wurzelt in der Inkarnation. Wir können nicht wie die Protestanten die Kirche in eine unsichtbare Gnadengemeinschaft (communio) und eine sichtbare Rechtsgemeinschaft (societas) auseinanderreißen. Die sichtbare Glaubensgemeinde ist keine von Menschen gestiftete religiöse Organisation, sondern der ekklesial-sakamentale Leib Christi (II. Vat. Lumen gentium 8). Sie dient in Martyria, Leiturgia und Diakonia der innigsten Vereinigung der Menschen mit Gott und der Einheit der Menschheit (LG 1). Darum ist es immer Christus selbst, der durch den Bischof lehrt, heiligt und pastoral oder jurisdiktionell leitet (LG 20f). Weder Papst und Bischöfe noch -wie im protestantischen und katholischen Staatskirchentum- die weltliche Obrigkeit oder ein gemischtes Gremium von Laien und Geistlichen (siehe den deutschsynodalen Irrweg!) können die Kirche Gottes leiten wie eine weltliche Organisation, sei es in autoritär-monokratischer, sei es in synodal-demokratischer Form.
Seiner sakramentalen Natur nach und nicht nur wegen positiver Rechtsnormen kann das Amt des Bischofs nur kollegial ausgeübt werden in Gemeinschaft mit dem gesamten Episkopat cum et sub Petro. Jeder Bischof hat kraft seiner Weihe Anteil an der Gesamtjurisdiktion des Episkopates, wenn der Papst als Haupt des Kollegium auch im Namen Christi für die ganze Kirche sprechen und handeln kann. Jeder Bischof hat nimmt kraft göttlichen Rechtes am ökumenischen Konzil teil (LG 25).
Der Papst ist jedoch kein Superbischof oder absoluter Souverän der Kirche als ob er an der Omnipotenz Gottes teilhätte, sondern als Bischof der Ortskirche von Rom das immerwährende sichtbare Prinzip und Fundament der Einheit im Glauben und der Communio ecclesiarum (LG 18: 23).
Der Papst kann auch keinem Laien außersakramental, also in einem formalen Rechtsakt die Jurisdiktionsvollmacht in einer Diözese oder an der römischen Kurie übertragen, so dass die Bischöfe oder Priester in dessen Namen wirken. „Denn die Bischöfe stehen an Gottes Stelle ihrer Herde vor, deren Hirten sie sind, als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Liturgie.“ (Lumen gentium 20).
Entgegengesetzte Fälle in der Geschichte der Kirche und des Papsttums sind keine theologischen Argumente, sondern nur Beweise einer defizienten Theologie oder des Missbrauchs geistlicher Vollmacht zu weltlichen Zwecken. Es rächt sich die Unterdrückung der Kongregationen der Kardinäle (als Teilversammlung des Konsistoriums aller Kardinäle) zugunsten der formalen Gleichheit aller Einrichtungen der Kurie und des Heiligen Stuhles als bürokratische Verwaltungsbehörden mit dem Namen Dikasterium. Gewiss kann das Dikasterium für die mediale Kommunikation von einem kompetenten Laien geleitet werden, aber eben nicht die Kongregationen für die Glaubenslehrte, die Liturgie, die Bischöfe, den Klerus u.a., deren Präfekten als Kleriker der römischen Kirche mit dem Bischof von Rom in seiner Eigenschaft als Nachfolger des hl. Petrus (kurz gesagt: „dem Papst“) sakramental verbunden sind.
Die Sakramentalität des Bischofsamtes besagt folglich auch, dass die Bischöfe weder Stellvertreter oder Delegierte des Papstes sind (LG 27). Die ihnen in der Weihe von Christus übertragenen geistlichen Vollmachten üben sie aus im Namen Christi, nicht in der Autorität des Papstes, wie es der extreme Papalismus von heute wieder will. Die Absetzung eines Bischofs oder der moralische Druck auf ihn zur freiwilligen Resignation ist vor Gott nur zu rechtfertigen als ultima ratio im Blick auf das bonum ecclesiae. Notwendig ist eine Relecture von „Praedicate evangelium“ im Licht der verbindlichen Lehre über die Kirche in der Dogmatischen Konstitution des II. Vatikanums „Lumen gentium“.
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