Gesichtserkennungssoftware in Schulen: Schottland macht einen Schritt in Richtung Totalüberwachung

Macht das schottische Experiment bald Schule? Für die Überprüfung von Gesichtszügen und Identität der Schüler werden gesundheitliche und logistische Gründe angegeben. Dennoch - oder gerade deshalb - sollte man beunruhigt sein.

Riconoscimento facciale

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Angesichts der aktuellen Situation und dem damit verbundenen Tragen von Atemschutzmasken ist die Gesichtserkennung von Personen aus sehr pragmatischen Gründen äußerst nützlich. Neun Schulen in North Ayrshire, Schottland, haben ein digitales Programm gestartet: Durch die Überprüfung der Gesichtsidentität der Schüler wird elektronisch kontrolliert, ob sie ihre Kantinengebühren bezahlt haben, bevor sie die Mensa betreten dürfen.

Die Begründung (bzw. der Vorwand?) leuchtet ein: Vorsichtsmaßnahmen gegen CoViD-19. Die Zahlung per Gesichtserkennung gilt als hygienischer als die Zahlung per Kreditkarte oder Fingerabdruckscanner. Ein weiterer Vorteil: Die Warteschlangen vor der Schulkantine sind viel kürzer. Wie David Swanston, Geschäftsführer von CRB Cunninghams, dem Unternehmen, das die Software herstellt, sagte, „hat die Gesichtserkennung die durchschnittliche Bezahldauer pro Schüler auf fünf Sekunden reduziert“. Zusätzlich zu den neun „Pilotschulen“ stehen 65 weitere Schulen im Vereinigten Königreich auf der Warteliste für die Einführung der neuen Technologie.

Nach Angaben des Verwaltungsrats von North Ayrshire sind 97 % der Schüler oder Eltern mit dem Projekt einverstanden. Durch die Gesichtserkennung muss man sich keine PINs merken (die Kinder und Jugendliche oft vergessen). Außerdem sei man vor digitalem Betrug geschützt. Die biometrischen Daten der Schüler werden in schulinternen Datenbanken gespeichert und beim Ausscheiden der Schüler vernichtet.

Alles in Butter also? Mitnichten. Für die Briten ist der Schutz der Privatsphäre nach wie vor – auch in modernen Zeiten wie den unseren – ein Grundprinzip, und die Schotten bilden da keine Ausnahme. So bringt z. B. das Information Commissioner’s Office (ICO) seine Ablehnung zum Ausdruck, indem es vom Verwaltungsrat von North Ayrshire eine „weniger in die Privatsphäre eingreifende“ Methode fordert. In der Tat stellt sich das überaus wichtige Problem des Schutzes der Daten von Minderjährigen. In diesem Zusammenhang weist die ICO darauf hin, dass „Organisationen die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Erhebung biometrischer Daten sorgfältig abwägen müssen, bevor sie handeln“.

Noch unnachgiebiger ist Big Brother Watch, dessen Leiterin Silkie Carlo die sofortige Aussetzung der Gesichtserkennung in britischen Schulen fordert. „Kein Kind sollte Identitätskontrollen unterzogen werden, als ob es eine Landesgrenze überschreiten würde, nur um eine Schulkantine zu betreten“, so Carlo gegenüber The Guardian. „Wir leben in einer Demokratie, nicht in einem Überwachungsstaat.“ Die personenbezogenen Daten von Minderjährigen, so die Aktivistin weiter, seien ein Gut, das es zu „schützen“ gelte und das nicht „aus einer Laune heraus verbreitet“ werden dürfe. Denn, so Carlo, das Unternehmen, das für die Erfassung dieser biometrischen Daten zuständig ist, weigert sich, offenzulegen, wer sonst noch Zugang zu den persönlichen Informationen der Kinder haben könnte.

In einem Interview gegenüber der Financial Times bezeichnet Silkie Carlo die Gesichtserkennungstechnologie an Schulen als vollkommen unnötig. „Biometrische Identitätskontrollen werden durch den Einsatz in ganz alltäglichen Situationen zur Normalität gemacht“, sagt sie. Dabei ist „für Kinder, die zum Mittagessen gehen, bestimmt keine Flughafensicherheitstechnologie notwendig“.

Die schottische Regierung hat ihrerseits die lokalen Behörden aufgefordert, beim Datenschutz streng vorzugehen und die Schulen in Bezug auf die strikte Einhaltung der Richtlinien zu überwachen.

Die digitale Gesichtserkennung ist keineswegs ein Novum. Viele US-Schulen nutzen sie bereits seit Jahren, hauptsächlich als Sicherheitsmaßnahme. Andererseits haben viele nordamerikanische Bundesstaaten und Städte ihre Entscheidung revidiert, da diese Technologie – ein unglaublicher Kurzschluss der Moderne – zu rassistischer und sexueller Diskriminierung führen könnte.

Ähnliche Kontroversen sind in Moskau im Gange, wo die Gesichtserkennung bei Fahrgästen der U-Bahn eingesetzt wird: nach Ansicht von Gegnern von Präsident Wladimir Putin könnte diese Methode auch dazu dienen, politische Gegner zu identifizieren und zu verfolgen.

Was die Europäische Union betrifft, so forderte das Europäische Parlament Anfang Oktober ein Verbot dieser Technologie im öffentlichen Raum und die Einführung strengerer Vorschriften für den Einsatz künstlicher Intelligenz durch die Strafverfolgungsbehörden, um Diskriminierung zu verhindern.

Das wichtigste ethische Dilemma ist jedoch ein ganz anderes. Es handelt sich um die Verarbeitung der persönlichen Daten von Kindern, deren Sicherheit und Vertraulichkeit strengstens gewährleistet werden muss. Nicht nur die Daten der Minderjährigen, sondern auch der Erwachsenen, kurz gesagt von allen.

Im Hinblick auf die Kleinsten und Jüngsten ergibt sich zudem eine nicht zu unterschätzende pädagogische Fragestellung. Mit der Gesichtserkennung üben die Schulen eine Form der heimlichen, wenn nicht gar heimtückischen Kontrolle über ihre Schüler aus, die dadurch weiteren überflüssigen Regeln unterworfen werden. Eine Überregulierung der Schulen kann leicht ausarten – wie es während der Pandemie geschah – und ist sicherlich nicht förderlich für ein friedliches schulisches Umfeld. Im Gegenteil, es fügt dem Verhältnis zwischen Schule und Familie und der pädagogischen Freiheit schweren Schaden zu.

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