Die Kollateralschäden der Leihmutterschaft

Frau wird zur Leihmutter, um sich ein neues Haus leisten zu können, und geht der „Superfötation“ in die Falle

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Mit immer mehr Selbstverständlichkeit redet man heutzutage von „Leihmutterschaft“ oder, um es treffender auszudrücken, von „Vermietung der Gebärmutter“, was sicherlich auch der Vorreiterrolle vieler Promis zu verdanken ist, wie Elton John, Ricky Martin oder des italienischen Popsängers Tiziano Ferro.

So sind wir, fast ohne es zu merken, bereits in eine neue Phase der „Debatte als Unterhaltungsformat“ eingetreten: das Thema ist nicht länger ausgebildeten Fachleuten oder akademischen Gesprächsrunden vorbehalten, sondern ist zum Gesprächsthema beim Friseurbesuch geworden bzw. Inhalt zahlreicher Nachmittags-Talkshows im Fernsehen. Eine Art Pop-„Debatte“, die immer weniger wissenschaftlich aber umso mehr emotional-sentimental geführt wird: Das Overton-Fenster steht sperrangelweit offen. Der gemeinsame Nenner des aktuellen Narrativs liegt in der Verharmlosung und der Unterbewertung der damit einhergehenden Risiken. Mit Sicherheit ist die kommerzielle Ausbeutung der Leihmütter der vordergründigste Aspekt, aber nicht minder wichtig sind Aspekte wie die psychologischen Auswirkungen auf das Neugeborene, das der Mutter (ob biologische Mutter oder Leihmutter) unmittelbar nach der Geburt entrissen wird.

Seltenes Phänomen

Extrem selten, aber dennoch nicht zu unterschätzen, ist die Möglichkeit der „Superfötation“: die zusätzliche Befruchtung einer neuen Eizelle, während eine im vorangegangenen Menstruationszyklus herangereifte Eizelle bereits befruchtet wurde und sich zu entwickeln begonnen hat.

Dieses Phänomen kommt bei Fischen und einigen Säugetierarten (vor allem bei Kaninchen und anderen Nagetieren) recht häufig vor, beim Menschen ist die Superfötation allerdings sehr unwahrscheinlich. In der wissenschaftlichen Literatur sind nur etwa zehn gesicherte Fälle bekannt, die in den letzten sechzig Jahren nachgewiesen wurden. In jüngster Zeit haben die Geschichten von Kate Hill in Australien im Jahr 2006 und Julia Grovenburg in Arkansas im Jahr 2009 für Schlagzeilen gesorgt.

Es ist jedoch bezeichnend, dass von diesen zehn bestätigten Fällen zumindest einer im Zuge einer künstlichen Befruchtung auftrat. So ist es vor vier Jahren der Kalifornierin Jessica Allen ergangen, die damals in ihren Dreißigern und bereits Mutter von zwei Kindern im Alter von einem und sechs Jahren war. Allen musste eine wahre Odyssee durchmachen, mit einem nur teilweise glücklichen Ausgang. Außerdem befand sich Jessica keineswegs in einer schlechten wirtschaftlichen Lage: Im Gegenteil, wie wir im Folgenden sehen werden, war ihr Unglück Folge einer „kleinbürgerlichen“ Laune.

Ihre Geschichte wurde kürzlich in einer Folge von Linee d’ombra, einer von Matteo Caccia moderierten Radiosendung auf Radio24, mit dem Titel Legami di sangue (Blutbande) erzählt; Man kann sie im Podcast ab Minute 20:28 anhören.

Der Deal

Alles beginnt Ende 2015, als Jessica, die gerade ihr zweites Kind, Jairus, zur Welt gebracht hat, ihrem Mann, Wardell Jasper, anvertraut, sie sehne sich nach einer dritten Schwangerschaft: eine Schwangerschaft, die jedoch im Vergleich zu den ersten beiden sehr speziell sei. Die Gründe? „Ich wollte lieber zu Hause bei meinen Kindern bleiben, als zu meinem Job als Altenpflegerin zurückzukehren“, erzählte die Frau Ende 2017 der New York Post, „und so beschlossen wir, Geld in den Kauf eines Hauses zu investieren.“ Da das Paar in Kalifornien lebt, ist die Umsetzung einfach zu bewerkstelligen. Allen wendet sich an Omega Family Global, eine auf Leihmutterschaft spezialisierte Agentur in San Diego, wird dann an das chinesische Ehepaar Liu vermittelt und erklärt sich bereit, ein durch In-vitro-Fertilisation gezeugtes Kind für das Ehepaar auszutragen. Jessica vereinbart für die Durchführung ein Honorar von 30.000 USD-Dollar.

Als Jessica im April 2016 in der sechsten Schwangerschaftswoche ist, enthüllt ein Ultraschall eine Überraschung: In ihrer Gebärmutter wachsen zwei Babys heran. Zunächst ist Allen verärgert, beruhigt sich  aber dann wieder, als sich die Lius bereit erklären, ihr für den Zwilling zusätzliche 5.000 Dollar zu zahlen. Alles verläuft wie geplant, bis am 12. Dezember Mike und Max per Kaiserschnitt geboren werden. Die Auftraggeberin, Frau Liu, ist bei der Geburt dermaßen verängstigt, dass die eigentliche Mutter sie sogar an der Hand halten und sie beruhigen muss: „Alles wird gut.“

Aber Jessica bekommt die Zwillinge gar nicht zu Gesicht. Entgegen der vertraglichen Vereinbarung, die vorsieht, dass sie wenigstens eine Stunde mit den Kindern verbringen dürfe, werden ihr die Zwillinge sofort nach der Geburt weggenommen. Fast einen Monat lang hört Allen praktisch nichts mehr von der Agentur, bis Frau Liu ihr schließlich am 10. Januar 2017 per Chat ein Foto der Kinder schickt zusammen mit der Frage: „Sie ähneln sich überhaupt nicht, oder? Haben Sie eine Ahnung, warum sie so unterschiedlich sind?“ Tatsächlich sehen sich Mike und Max ganz und gar nicht ähnlich, denn Mike hat orientalische Gesichtszüge (er ist also eindeutig der biologische Sohn der Lius), während Max die für Mulatten typische Hautfarbe aufweist. Ja genau: Jessica ist weiß und ihr Mann Wardell ist Afroamerikaner.

Eine Woche später folgt die offizielle Bestätigung per DNA-Test: Mike ist der Sohn des chinesischen Paares, Max der des amerikanischen. Da das Ehepaar Liu das fremde Kind nicht großziehen will, hat es Max unterdessen in die Obhut der Agentur Omega gegeben und von Allen eine Entschädigung zwischen 18.000 und 22.000 Dollar eingefordert.

Das Ergebnis

Allerdings hat das kalifornische Paar zu dem Zeitpunkt bereits alles ausgegeben, was Jessica mit der Leihmutterschaft verdient hatte. „Unsere Priorität war es, Max zurückzubekommen“, erklärt Jessica. Aber, „ich musste mit Entsetzen feststellen, dass ihn ein Agenturmitarbeiter potentiellen Adoptiveltern angeboten hatte, um das Geld, das wir den Lius schuldeten, wieder ‚reinzuholen’. Falls das nicht klappen sollte, zog das Ehepaar Liu die Alternative in Erwägung, Max zur Adoption freizugeben, da sie rechtlich gesehen seine Eltern waren.“

Jessica gibt jedoch nicht auf. Zwar sieht sie das Kind als ihr eigenes an, findet sich aber in einer paradoxen  Situation wieder. „Max wurde wie eine Ware behandelt und es war, als ob wir unser eigenes Fleisch und Blut adoptieren würden“, erzählt sie. Darüber hinaus „sagte uns eine Angestellte der Agentur, dass wir ihr weitere 7.000 Dollar für die Unkosten schuldeten, die durch die Betreuung unseres Sohnes und den bürokratischen Aufwand entstanden seien.“ Nach Beauftragung eines Anwalts, der sie 3.000 Dollar gekostet hat, und mühsamen Verhandlungen gelingt es dem Ehepaar Jasper, die Agentur dazu zu bringen, den dem Ehepaar Liu geschuldeten Betrag komplett zu erlassen. Am 5. Februar 2017 können Jessica und Wardell schließlich ihren Sohn, den sie auf den Namen Malachi umbenannt haben, in die Arme schließen. „Ich bereue es nicht, Leihmutter geworden zu sein“, erklärt Jessica Allen, „denn das würde bedeuten, mein Kind zu verleugnen. Ich hoffe einfach, dass andere Frauen, die eine Leihmutterschaft in Erwägung ziehen, aus meiner Geschichte lernen. Und dass aus diesem Albtraum ein größeres Wohl hervorgehen möge.“

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