Last updated on Januar 6th, 2021 at 04:14 am
Was man auf der Website der La Leche League International (LLLI) zum Thema „Stillen an der Brust“ transsexueller oder ‚nicht-binärer’ Eltern liest, wirft interessante Fragen auf. Allein schon die Definition von „Chestfeed“ sprich das Stillen an der Brust, da ein Mann zwar Brustwarzen aber keine Brüste hat, ist bezeichnend, geradezu zweckdienlich. iFamNews hat einen Spezialisten um eine Bestandsaufnahme gebeten.
Vom ersten Moment des Lebens an sendet die Zygote Signale an die Mutter, noch bevor sie weiß, dass sie in „anderen Umständen“ ist: ein hervorragender Ausdruck, der zwar veraltet, aber von großem moralischen Gehalt ist, drückt er doch aus, dass Mutter und Kind bereits körperlich miteinander interagieren. Der weibliche Körper, der die Einnistung durch sogenannte „natürliche Killerzellen“ abstoßen könnte, mindert daher seine Immunabwehrkräfte. Es findet ein Dialog zwischen zwei lebendigen Systemen statt, die beide überleben wollen und sich dabei wechselseitig beeinflussen. Man spricht von Mikrochimärismus, „wenn genetisches Material und Zellen beidseitig zwischen dem Fötus und der Mutter ausgetauscht werden“, eine aktive Wechselwirkung.
Am Anfang war die Mutter
Während der Schwangerschaft setzt sich dieser Dialog ständig fort, indem die Mutter dem Kind Informationen übermittelt, welche die Grundlage für die Bindungsbeziehung nach der Geburt des Kindes bilden. Dass die Mutter während der Endogestation (d.h. der neun Monate, die das Kind im Mutterleib heranwächst) für die Entwicklung des Kindes von grundlegender Bedeutung ist, wird anhand von Untersuchungen an Säuglingen, die unglücklicherweise vor dem neunten Monat auf die Welt kommen, hinreichend belegt: Für das Baby ist der Körper der Mutter das bestmögliche „Hospital“. In der Tat ist es wissenschaftlich erwiesen, dass die „Kangaroo Mother Care“ (die sogenannte Känguru-Methode, bei der eine Frau ihr frühgeborenes Kind in einer andauernden und lebenswichtigen Umarmung in engem Kontakt mit dem eigenen Körper hält, bei der sie zeitweise auch vom Vater abgelöst wird) positive Auswirkungen sowohl auf die Neugeborenen als auch auf die Eltern hat, die tatkräftig zur Stärkung der fragilen Gesundheit ihres Kindes mithelfen.
Das Stillen an der Mutterbrust sowie der körperliche Kontakt zwischen Mutter und Frühgeborenem sind für den Säugling zur Vermeidung eines gesundheitlichen Zusammenbruchs notwendig; dieser könnte auftreten, wenn die Mutter das Neugeborene von ihrem Körper fernhält. Und das gilt sicher für alle Babys, auch für die, die wie vorgesehen zwischen der 37. und 42. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen.
Studien zur Mutter-Kind-Bindung
Zu den grundlegende Grundsätzen, die die Wichtigkeit der Mutter-Kind-Beziehung herausstellen, gehören sicherlich die Bindungstheorie und die „inneren Arbeitsmodelle“. John Bowlby (1907-1990), britischer Psychologe, Arzt und Psychoanalytiker, war der erste, der sie untersuchte. Er zeigte, dass Bindung „das Ergebnis einer angeborenen – von Geburt an vorhandenen und uns biologisch eingeschriebenen – Motivation des Menschen ist, […] nach jemandem zu suchen, an den wir uns emotional binden können und der sich um uns kümmert. Der Zweck dieses Bindungssystems ist folglich evolutionärer Natur, insbesondere beim Menschen“, liest man in 100.000 baci, l’educazione affettiva e sessuale in famiglia [100.000 Küsse, emotionale und sexuelle Erziehung in der Familie; Titel nicht auf Deutsch erhältlich].
Das Bindungssystem wird in Notsituationen aktiviert: bei Gefahr – wie z.B. nach der Geburt und bei einer Trennung von der Mutter; bei Hunger – der aus Sicht des Neugeborenen ein sehr schmerzhaftes Ereignis ohne absehbares Ende ist; bei Schmerz – man denke an die körperlichen Wahrnehmungen eines Neugeborenen, der gesundheitlich versorgt wird, oder man erinnere sich an vergangene Zeiten, als Babys ohne Narkose- oder Schmerzmittel operiert wurden, weil man sie für unreif hielt; oder beim Schlafen, dessen physiologische Funktionsweise erst kürzlich wissenschaftlich anerkannt wurde. Aktuelle Informationen dazu bietet das 2019 von La Leche League Italien veröffentlichte Buch Sogni d’Oro. Strategie per il sonno della famiglia con un bambino allattato [Süße Träume. Schlafstrategien für Familien, die ein Baby stillen; Titel nicht auf Deutsch erhältlich]. „In solchen Momenten“, schreiben Miriam Incurvati und Giovanni Petrichella, die Autoren von 100.000 Küsse, emotionale und sexuelle Erziehung in der Familie, „wächst im Kind – aufgrund seiner Sinneswahrnehmungen oder lediglich aufgrund der Empfindung, die Bezugsperson zu vermissen – das Gefühl von Gefahr und das Bedürfnis nach Nähe zu dem Menschen, der es versorgt.“
Wenn die Person, in die das Kind sein Vertrauen setzt, aktiv auf die Forderung (was sich meist durch Weinen ausdrückt) reagiert, wird das motivationale System der Bindung „ausgeschaltet“ und das Kind ändert sein Verhalten (indem es z. B. aufhört zu weinen). Das bedeutet für das Kind stellt die Person, an die es sich „gebunden“ hat, eine Sicherheit dar und es kann im Notfall auf sie zählen. „Ausgehend von der Art und Weise, wie die Bezugsperson auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen vermag“, wird das Kind Verhaltensweisen für externe Beziehungen entwickeln (Beziehungen zu Menschen und bestimmten Situationen). Die Reaktionsfähigkeit des caregivers und dessen Routine, auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen, schafft die Vorstellung, die das Kind von sich selbst und von der geliebten Person hat: „auf welche Weise es verstanden, getröstet oder im Gegenteil missverstanden, frustriert, unbefriedigt wurde“, wobei diese Reaktionen dann auch auf andere Beziehungen ausgedehnt werden. Das „innere Arbeitsmodell“ bleibt im Laufe des Lebens „emotional stabil, das heißt, Spuren davon sind im Gedächtnis und in der Persönlichkeitsstruktur des späteren Erwachsenen zu finden“.
Stillen
Die Tatsache, dass das Wort caregiver verwendet wird, um die Person zu beschreiben, die dazu berufen ist, sich um den Säugling bzw. das Kind zu kümmern, sollte uns nicht verwirren: Es die Mutter ist, die während der Endogestation und während des gesamten ersten Lebensjahrs, in der Phase der Exogestation, mit ihrem Kind eine Bindung eingeht; allein dadurch wird klar, wie wichtig jede Geste der Mutter gegenüber dem Neugeborenen ist. Eine dieser Gesten ist sicherlich das Stillen: Studien zufolge „trägt eine längere Stillzeit an der Mutterbrust entscheidend zu einer ausgeprägten Bindungssicherheit bei“. Das bedeutet, dass die während der Schwangerschaft begonnene Beziehung sich nach der Geburt fortgesetzt und dem Kind als lebenslange Grundlage seiner Entwicklung und Lebenseinstellung dient.
Eine wichtige Studie zu diesem Thema hat gezeigt, dass Frauen, die ihre Kind lange – auch über das zweite Lebensjahr hinaus – stillen, eher dazu neigen, sich auch nach seinem zehnten Lebensjahr noch intensiv um das Kind zu kümmern, was sich auf die emotionale und sexuelle Entwicklung, die das Individuum nach der Pubertät und in der Adoleszenz vollzieht, auswirkt. Doch nicht nur das Kind profitiert von der Beziehung zur Mutter. Auch der Mutter wird die Erledigung ihrer Elternaufgaben erleichtert, indem sie „einfach nur“ stillt oder sich zum schlafen zu ihrem Kind legt und so sein Kontaktbedürfnis befriedigt, denn das vermittelt ihr das Gefühl, gebraucht zu werden, was wiederum zu einer Senkung des Stresspegels führt.
Stillen ist gesund
Was bedeutet das in der Praxis, wozu ist das Stillen gut? Es ist eine gesunde Art der Ernährung, es beugt postnatalen Depressionen vor, es spart Geld für Babyfertignahrung und liefert der Politik Richtlinien, die nicht „kinderfeindlich“ sind. Und noch viel mehr.
In dem oben zitierten von der La Leche League veröffentlichten Buch zum Schlaf, zum Beispiel, wird gleich zu Beginn in der Einleitung eine anthropologische Perspektive aufgezeigt: „Ganz gleich ob es uns bewusst ist oder nicht, aber wir Mütter sind gut in dem, was wir tun. Wissenschaftliche Untersuchungen in den verschiedensten Bereichen bestätigen diese These: Es lohnt sich, dem mütterlichen Instinkt zu folgen. Dieser Instinkt hat es uns ermöglicht, Kinder auf die Welt zu bringen, zu schlafen und unsere Kinder zu stillen, Generation um Generation ohne irgendwelche Expertenratschläge […] Da wissenschaftliche Studien nicht jede Situation abdecken können, musst man sich auf den eigenengesunden Menschenverstand verlassen und die speziellen Bedürfnisse der eigenen Familie verstehen. Hier kommt unsere mütterliche Weisheit ins Spiel. […] Unser Instinkt, auf unser Baby zu achten und es nachts in unserer Nähe zu behalten, wird in neuesten Studien vollauf bestätigt.“
Das bedeutet, dass die Frau, die Mutter, nicht nur caregiver ist, wie biologisch für das optimale Wachstum jedes geborenen Wesens vorgesehen, sondern auch die Quelle emotionaler, psychologischer und sexueller Gesundheit eines jeden Menschen ist. So beschäftigt sich der Artikel Affektive Bindung und sexuelles Verhalten. Wie die Art der Bindung sexuelles Verhalten beeinflusst von Psychiater Tonino Cantelmi und Psychologe Emiliano Lambiase mit der gesamten bisherigen Forschung „zur Beziehung zwischen Art der Bindung und sexuellem Verhalten, ausgehend von der Annahme, dass die Umsetzung sexuellen Verhaltens dazu dient, Gefühlszustände zu steuern und primär nicht-sexuelle Bedürfnisse zu erfüllen, die die Person nicht anderweitig bewältigen kann. Die Fähigkeit, Gefühle zu steuern und Grundbedürfnisse zu befriedigen, entwickelt sich in der frühen Kindheit im Zuge der Bindungsentwicklung“.
Es liegt auf der Hand, dass die Erziehung und sozio-kulturelle Eingliederung eines Kindes nicht allein auf den Schultern der Mutter lastet und selbstverständlich auch von der Beziehung zum Vater abhängt sowie von den Erfahrungen, die das Kind aus der Vater-Mutter-Beziehung ableitet und sich aneignet. Doch ist und bleibt diese anfängliche Geste, diese Umarmung, bei der die Mutter das Kind an die eigene Brust anlegt, von wesentlicher Bedeutung für das Individuum und für alle, die mit ihm eine Verbindung eingehen werden.
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