Bibel wird instrumentalisiert, um „Leihmutterschaft“ zu rechtfertigen

Was Erfindungsreichtum angeht, übertrifft unsere Welt sogar Till Eulenspiegel und macht selbst vor Abraham und der Heiligen Schrift nicht Halt. Ein Gespräch mit Simona Riccardi, Autorin von „Hagar und Sarah. Mütter im Glauben“

Eine der wohl absonderlichsten Begründungen zur Rechtfertigung von Leihmutterschaft ist es, sich auf die Heilige Schrift zu berufen. Die Vertreter dieser These behaupten, die Bibel enthalte erste Spuren einer Leihmutterschaft und zitieren diesbezüglich die Kapitel 16 und 21 des Buches Genesis. Dort, in der Geschichte der Sklavin Hagar, die Ismael gebiert, um Abraham Nachkommen zu schenken, finde man den biblischen Vorläufer dessen, was wir heute als „Leihmutterschaft“ bezeichnen. Doch man muss kein theologisches Genie sein, um zu erkennen, dass „der Verleih der Gebärmutter“ herzlich wenig mit Hagar, Abraham und seiner Frau Sarah zu tun hat. Das erklärt Simona Riccardi, Autorin von Hagar und Sarah. Mütter im Glauben, einem fesselnden Roman, der in Form von Monologen das Leben der drei Hauptpersonen erzählt, gegenüber iFamNews.

Stellen wir eins vorweg klar: Ist die Geschichte um Hagar und Abraham eher als ein Beispiel für Ehebruch oder für „Leihmutterschaft“ zu betrachten?

Weder noch. Ich würde sagen, dass es sich hier um einen einzigartigen Fall handelt, der sich nur schwer in eine der beiden Kategorien einordnen lässt. Wollte man die Geschichte unbedingt kategorisieren, könnte man sie als einen durch Sarah „herbeigeführten Ehebruch“ definieren, denn sie ist es, die Hagar in Abrahams Arme treibt, um durch die Sklavin einen Nachkommen für ihren Mann zu sichern.

Aber genau hier setzen diejenigen an, die von biblischer „Leihmutterschaft“ sprechen…

Nein, es handelt sich keineswegs um eine „Leihmutterschaft“, da es keine Vereinbarung zwischen den beiden Frauen gibt. Hagar kann als Sklavin nur dem Befehl ihrer Herrin gehorchen, aber ihre Beziehung zu ihrem Sohn Ismael ist unzerstörbar. Offensichtlich entsprechen aber die menschlichen Gesetze jener Zeit, in der diese Praxis möglich ist, nicht den göttlichen Gesetzen: Diese ganz und gar vom Menschen geschaffene Lösung entspricht nicht dem, was Sarah sich erhofft hatte. Gott beweist, dass er ganz andere Pläne hat für diejenigen, die in der Lage sind, zu warten.

In der Tat wird, im Gegensatz zu heutigen „Leihmüttern“, die Beziehung zwischen Hagar und ihrem Sohn Ismael nicht unterbrochen. Kann man hierin einen entscheidenden Unterschied sehen?

Sicherlich ist dies ein ganz klarer Unterschied. Ismael ist weiterhin Hagars Sohn, nicht nur, weil sie nie voneinander getrennt werden, sondern auch, weil Sarah selbst niemals das Gefühl hat, Ismael sei ihr eigener Sohn. In meinem Roman hebe ich diesen Aspekt hervor, indem ich Sarahs Leid aufzeige, als sie erkennt, dass sie keine Liebe für das Kind empfinden kann, welches in ihren Augen das Brandmal von Unehre und Ungeduld trägt. Der Beweis dafür, dass die Bindung zwischen der angeblichen „Leihmutter“ und dem Kind, das sie neun Monate lang in sich trägt, nicht gelöst werden kann, zeigt sich schließlich in der Entfremdung der beiden Frauen, die ein gemeinsames Zusammenleben unhaltbar macht. Dadurch erlangt Hagar zusammen mit ihrem Kind die Freiheit. Es ist schon seltsam, dass manche Menschen heutzutage die Heilige Schrift und ausgerechnet die Geschichte einer Sklavin als Legitimation der Praxis der „Leihmutterschaft“ heranziehen, ist diese doch eine moderne Form von Sklaverei und Ausbeutung des weiblichen Körpers zu dem alleinigen Zweck, den Wunsch nach Elternschaft durch Geld zu erfüllen.

Wenn Sie erlauben, möchte ich hier noch einmal nachhaken. Sehen Sie dennoch eine kulturelle Affinität oder zumindest Ähnlichkeiten was die Geisteshaltung anbelangt, zwischen dem damaligen jüdischen Brauch, von dem Abraham zur Sicherung seiner Nachkommenschaft Gebrauch macht, und dem heutigen Phänomen der „Gebärmutter- Vermietung“?

Ich glaube, dass es gerade auf kultureller Ebene erhebliche Unterschiede gibt. Damals war Unfruchtbarkeit für eine Frau ein echter Fluch. Es bedeutete nicht nur gesellschaftliche, sondern auch göttliche Missbilligung. Eine Frau konnte sich nur durch ihre eigene Nachkommenschaft verwirklichen. Das ist heute nicht mehr der Fall. Die Welt interessiert sich nicht dafür, ob man sich für Kinder entscheidet oder nicht, ob man schwanger werden kann oder nicht, ob man den eigenen wirklichen Wunsch nach Mutterschaft hinterfragt. Obwohl weiterhin eine soziale Konditionierung besteht, wird die Wahl, ein Kind zu bekommen, immer mehr zu einer persönlichen Entscheidung. Wenn der Wunsch sehr groß ist, aber wie in Sarahs Fall, unerfüllt bleibt, gibt es ganz andere und durchaus moralische Lösungen – ohne auf In-vitro-Befruchtung, heterologe Techniken oder schlimmer noch die Ausbeutung von Frauen, die für Geld zu Brutmaschinen werden, zurückgreifen zu müssen.

Welche Überlegungen zum Thema Familie bietet die Erzählung von Abraham, Hagar und Sarah?

Die Geschichte von Abraham, Hagar und Sarah zeugt von den Risiken, die man eingeht, wenn man in Hinblick auf die Gabe des Lebens meint, man könne es alleine schaffen und sich sogar an die Stelle Gottes setzen. Als Abraham und seine Frau vom vorgezeichneten Weg abkommen und die Beziehungen innerhalb der Familie aufs Spiel setzen, erfahren sie lediglich Verwirrung und Leid. Erst als sie sich dem göttlichen Willen ergeben und den eigenen Egoismus und Hochmut hinter sich lassen, sprießt aus dem dürren unfruchtbaren Zweig der lang ersehnte Sohn der Verheißung. Ein Kind ist nicht das Eigentum der Eltern, sondern ein Geschenk Gottes. Das ist es, was die Bibel anhand dieser Erzählung lehrt: Man kann es akzeptieren oder ablehnen, aber man kann die Bibel sicher nicht dazu bringen, etwas zu erzählen, was so nicht drinsteht.

Hagar und Sarah: Mit welcher der beiden Figuren identifizieren Sie sich am ehesten?

Anfangs hätte ich Hagar gesagt, aufgrund ihres unbeugsamen Charakters. Die Sklavin ist eine Kämpferin, sie beugt sich, ohne unter der Last von Mühsal und Misshandlung zu zerbrechen; sie flieht und kämpft gegen die Wüste an; sie kehrt nach ihrer Begegnung mit Gott und der daraus resultierenden inneren Veränderung zu ihrer Herrin zurück. Aber je länger ich an meinem Roman schrieb, desto mehr begann ich, Sarah zu verstehen und zu lieben, für all ihre Schwächen und Verletzlichkeiten, aber auch für ihre Beharrlichkeit im Glauben. Ich würde sagen, dass es die ausgeprägte Identifizierungsmöglichkeit ist, die diesen Roman ausmacht. Der Leser erlangt Einblick in die Psyche und das Herz der beiden Frauen, so dass er sich teils wie Hagar teils wie Sarah fühlt.

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