Kann ein Staat in die Durchführung öffentlicher Gottesdienste eingreifen, indem er beispielsweise entscheidet, ob, wie, wo und wann eine Liturgie gefeiert wird oder nicht? Die Frage ist nicht, ob er es tun kann: Er darf das nicht tun. Es ist nicht Aufgabe des Staates, keines Staates, die Religionsausübung zu regulieren. Täte er dies, würde er sich in Angelegenheiten einmischen, die nicht in seine Zuständigkeit fallen, er würde die Säkularität der res publica verletzen und das Grundrecht auf Religionsfreiheit, das wichtigste politische Menschenrecht seiner Bürger, untergraben. Wenn ein Staat dies täte, würde er, kurz gesagt, eine potenziell totalitäre Haltung einnehmen.
Gegenwärtig beherrscht das Thema Mitternachtsmesse an Weihnachten die Diskussion. Die mitten in der Nacht gefeierte Eucharistiefeier, die für Christen die heilige Nacht, sprich die „Weihnacht“ Christi ist, die jenen Tag einleitet, der auf Englisch „Christmas“ heißt und eine unzerstörbare Kraft hat – unmöglich durch den irritierenden Gruß „Season Greetings“ [etwa „Frohe Ferien der Saison“] auszutauschen – ist nicht bloß irgendein Brauch. Noch bevor ein Staat in die Gepflogenheiten eines Volkes eingreift, sollte er sich über die linke Schulter und über die rechte Schulter, nach hinten und nach vorne umsehen, nach unten und nach oben blicken. Denn wie gesagt, ist die Christmette an Weihnachten nicht nur ein schöner Brauch. Sie hat einen immanenten Wert, wie Kanonikus Giuseppe Adesso gegenüber iFamNews erklärt, geradezu einen theologischen Wert, der nicht leichtfertig aufgehoben werden kann. Vor allem hat ein Staat kein Recht dazu.
Es kann wichtige Gründe geben, die mitternächtliche Christmette auszusetzen. Und der Kanonikus Adesso erinnert sich noch gut daran. Aber nicht alle Gründe sind gleich wichtig, d.h. man kann nicht nach Belieben bestimmen, welche Gründe „wichtig“ sind, die nur deshalb wichtig sind, weil sie vom Staatslenker oder wer auch immer hofft dies zu sein, dazu erklärt werden.
Heute heißt es, gesundheitliche Gründe seien ein wichtiger Grund und ausreichend für eine Ausnahmeregelung. Das ist nicht wahr.
Die christlichen Kirchen oder das, was davon übrig geblieben ist (denn das Christentum wird nicht aussterben, solange jemand dessen Ideale in seinem Herzen trägt), haben als Erste die neuen gesundheitlichen Hygienevorschriften der CoViD-19-Ära gewissenhaft eingehalten. Keiner von ihnen, keiner einzigen, kann Leichtfertigkeit oder Nachlässigkeit angelastet werden. Die Aussetzung der Christmette an Weihnachten mit dem Ansteckungsrisiko zu begründen, ist demnach nur ein Vorwand.
Besser gesagt, entspringt sie einer verdrehten Logik, nach welcher liturgische oder religiöse Feiern Ansteckungsherde darstellen. Dieser Versuch wurde in einigen Teilen der Welt manchmal mit Erfolg und sehr zum Leidwesen religiöser Gruppen unternommen, die bar jeder Vernunft und entgegen aller Tatsachen als Überträger der Pest gebrandmarkt wurden. Ich selbst habe einige dieser Gottesdienste mit mehr als Tausend Teilnehmern in Südkorea besucht, und zwar im Februar als die Verbreitung des Virus weltweit explodierte und höchstwahrscheinlich seit Monaten ohne unser Wissen bereits in unseren Gefilden kursierte. Und ich kann bezeugen, dass die Massengottesdienste sich übermäßig penibel an alle Vorgaben, inklusive Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel, hielten. Falls sich dort dennoch ein Vorfall ereignet hat, ist die Verantwortung der „Glaubensgemeinschaften“ auch nicht größer als die beim Metzger oder Bäcker um die Ecke.
Glaubte ich an ein Komplott, würde ich daher sagen, die restriktiven Maßnahmen gegen die Durchführung von Gottesdiensten diene dazu, Religion mittels ungebändigten Religionshasses zu unterdrücken. Aber da ich seit Jahren schreibe und wiederhole, dass Verschwörungstheorien ein geistiges Krebsgeschwür und Gift für den Verstand sind, stütze ich diese These ganz und gar nicht.
Wenn es also keine „große Verschwörung“ gibt, die alles erklärt, indem sie gar nichts erklärt (sondern in erster Linie eine Entschuldigung bietet, mit dem Beobachten, Analysieren, Nachforschen und Kämpfen aufzuhören), so stelle ich dennoch fest, dass die Geschichte zweifellos der Schauplatz ist, an dem gegensätzliche Kräfte aufeinander prallen. Ich, und davon bin ich zutiefst überzeugt, glaube jedoch, dass sich im Laufe der Geschichte Gut und Böse gegenüberstehen; und so wie sich die Guten formieren, um Gutes zu verbreiten, so schließen sich auch die Bösen zusammen, um ihre Ziele zu verwirklichen. Andernfalls wären weder die Guten noch die Bösen glaubwürdig.
Nun, wenn das also nicht stimmt – wie es ebenso wenig stimmt, dass liturgische Feiern Ansteckungsquellen sind – ist die Anmaßung, auf Teufel komm raus, in die Gestaltung der Religionsausübung einzugreifen am Ende nichts weiter als eine Machtdemonstration: Der Staat beweist, inwieweit und auf welche Weise er eingreifen kann, wenn er denn will. Und genau das muss verhindert werden.
Es gibt eine Schwelle, eine Grenze, an welcher der Staat Halt machen muss. Handelt es sich um einen übelgesonnenen Staat ist, ist das seine Pflicht und fertig; handelt es sich aber um wohlgesonnenen Staat, dann muss er an der Grenze zu jenem heiligen und unüberwindlichen Limes zitternd, wenn nicht sogar betend, innehalten. Aber er darf sie niemals überschreiten. Diese Grenze, den Rubikon, zu überschreiten, stellt eine folgenschwere Provokation dar.
Die Machtdemonstration gegen die Gottesdienstfeier wie auch gegen andere religiöse Veranstaltungen dauert nun schon seit Monaten an. Doch in einigen Ländern hat die gemeinsame Reaktion von Bevölkerung und Kirche bedeutende Ergebnisse erzielt und dem Staat das Überschreiten des Limes verwehrt. Das ist möglich, wo das Volk lebendig ist.
Zum Beispiel hat es sich im überaus säkularen Frankreich ereignet, dem europäischen Land, das wir normalerweise am ehesten mit Laizismus und religiöser Gleichgültigkeit in Verbindung bringen. Analog dazu und ideell ähnlich hat sich kürzlich in Russland ein Fall abgespielt, bei dem sich die Gesellschaft entgegen aller Erwartungen durchgesetzt hat, indem es eine gesunde Reaktionsbereitschaft gezeigt und ein Gesetz ablehnt hat, welches dem Staat umfangreiche und und ungehörige Machtbefugnisse gegenüber Familien verliehen hätte. So hat das Volk ein klares Signal an die politischen Machthaber gesendet, welches diese besser mit Bedacht anerkennen sollten. Überall auf der Welt haben die Menschen eine klare Vorstellung davon, wo die Grenze verläuft. Und wie ist es bei uns?