Minister für Menschenrechte will Bürger „glücklich“ machen

Die serbische Ministerin Čomić glaubt, das Ziel des Staates bestehe darin, seine Bürger glücklich zu machen – oder, genauer gesagt, weniger unglücklich, was mehr oder weniger das Gleiche ist

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Auf den Einwand von mehr als 200 Akademikern, Universitätsprofessoren, Forschern, Schriftstellern und Journalisten, dass die vorgelegten Gesetzesentwürfe zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, Geschlechtergleichstellung und Nichtdiskriminierung verfassungswidrig seien, antwortete Ministerin Gordana Čomić: „Es gibt eine Gruppe von Menschen, die wollen, dass die LGBT-Gemeinschaft unglücklich ist“, während sie hingegen glaubt, dass das vorgeschlagene Gesetz zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften „viele Menschen weniger unglücklich machen wird“, denn „derzeit gibt es Menschen, die unglücklich sind, weil sie ihre Menschenrechte nicht ausüben können.“ Zusammengefasst: Ministerin Čomić glaubt, das Ziel des Staates bestehe darin, seine Bürger glücklich zu machen – oder, genauer gesagt, weniger unglücklich, was mehr oder weniger das Gleiche ist.

Ein solches Verständnis des Staatsziels zeigt, dass die langgediente Politikerin und Mitglied einer weitgehend liberalen Partei – der Demokratischen Partei – politische Überzeugungen hegt, die eher den Ideen Wladimir Iljitsch Lenins ähneln als denen John Lockes. Eine Regierung, die das Glück ihres Volkes fördern will, ist nämlich immer totalitärer Natur, da nur unbegrenzte Macht es vermag, in das Innenleben des Menschen einzudringen, das mit dem Glücklichsein des Menschen eng verknüpft ist. Deshalb taucht in der Rhetorik aller totalitären Regimes unvermeidlicherweise der Begriff des Glücks auf. Rechtfertigten nicht die Kommunisten den revolutionären Terror über Leben, Freiheit und Eigentum ihrer Klassenfeinde mit der Behauptung, für eine glückliche Zukunft zu kämpfen? Im Gegensatz dazu sieht der klassische liberale Gedanke, ausgehend von Lockes Idee der begrenzten Regierungsmacht (limited government), das Ziel des Staates nicht darin, für das Glück der Bürger zu sorgen, sondern die äußere Sicherheit des Bürgers, d.h. die Freiheit seiner Person und seines Eigentums, zu gewährleisten. Zugleich lebt in einem modernen Staat wahre Freiheit nur durch ihre Verankerung in der Verfassung, die somit ihre einzige Garantie sind.

Bei seinen Überlegungen, welche Formen von Despotismus in demokratischen Regimen auftreten könnten, kam Alexis de Tocqueville Mitte des 19. Jahrhunderts zu dem Schluss, dass demokratischer Despotismus einer „gewaltigen Schutzmacht“ gleichen könnte, die sich über die Bürger erhebt und „ihre einzige Aufgabe darin sieht, ihnen den Genuss zu sichern und über ihr Schicksal zu wachen“. Eine solche Regierung „arbeitet gerne zu ihrem Glück, doch will sie dessen alleiniger Schmied und Schiedsrichter sein.“

Dieser Antwort nach zu urteilen, die Gordana Čomić an die Unterzeichner der Petition 212 geschickt hat, entspricht ihr „demokratisches“ Ideal exakt einer solchen Regierung, die „die Menschen glücklich machen“ will. Die Tatsache, dass diese Ministerin für Menschen- und Minderheitenrechte im Namen des Glücks der LGBT-Bevölkerung die unmissverständlichen Bestimmungen des Artikels 62, Absatz 2 der Verfassung der Republik Serbien, wonach „die Ehe auf der Grundlage einer freiwilligen Zustimmung zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen wird“, völlig ignoriert, zeigt lediglich, dass sie dieselbe revolutionäre Haltung gegenüber dem Gesetz vertritt wie Josip Broz Tito, der sagte, dass „man sich nicht an das Gesetz klammern sollte wie eine Klette.“ Wie alle Anhänger des revolutionären Totalitarismus denkt auch Ministerin Čomić, dass die Verfassung nur ein Werkzeug im Dienste der Ideologie der Menschenrechte ist. In ihren maßlosen und nichtssagenden Versuchen, die Verfassung zu interpretieren (z.B. behauptet sie: „Menschen sind keine Territorien; alle Bürger sind menschliche Wesen, und dieses Gesetz ermöglicht es sowohl Frauen als auch Männern sowie Angehörigen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, gemäß den in der serbischen Verfassung verankerten Menschenrechten zu leben“), versäumt sie es, einen konkreten Artikel der Verfassung zu benennen. Ein Beleg dafür, dass ihre Worte nicht nur der böswilligen Absicht entspringen, die offenkundige Verfassungswidrigkeit des Gesetzentwurfs zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu verbergen, sondern auch den revolutionären machiavellistischen Glauben widerspiegeln, die Verfassung sei nur soviel wert, wie sie im Dienst  der neoliberalen „Menschenrechts“-Ideologie vollbringe. Genauer gesagt: Die konstitutionellen Vorgaben dürfen kein „formales“ Hindernis auf dem Weg zum Glück von LGBT-Personen sein. Ist ein Verfassungsverstoß erst einmal vollzogen, stehen auch unser aller Freiheit, Leben und Eigentum auf dem Spiel. Das aber ist für die Genossin Čomić nicht von Belang, so wie es zuvor auch die Genossen Lenin und Broz nicht sonderlich interessiert hat.

Im Widerspruch zu Čomić stehen die Unterzeichner der Petition der Koalition für die Natürliche Familie. Sie treten – und zwar nicht nur hinsichtlich des Inhalts der Petition, sondern vor allem hinsichtlich ihrer Weigerung, am „Dialog“ über verfassungswidrige Gesetzesvorlagen teilzunehmen – vor den Augen der serbischen Öffentlichkeit als Verteidiger der Verfassung der Republik Serbien und insbesondere des Artikels 62, der die Institution der Ehe regelt, auf. Die Verteidigung der Verfassung ist das Gleiche wie die Verteidigung des Vaterlandes. Was den Ausgang dieses Problems anbelangt, ist die Lösung ganz einfach. Soll das Vaterland nicht kapitulieren, muss Ministerin Čomić kapitulieren. Am besten ließe sich das bewerkstelligen, indem die Regierung die vorgelegten verfassungswidrigen Entwürfe zu den drei Gesetzen zurückziehen und die Ministerin ihr Rücktrittsgesuch einreichen würde. Das wäre für alle der einfachste und schadenfreieste Weg. Beschließt die Regierung jedoch unter Druck von außen, die Ministerin zu verteidigen, dann wird sich der ganze Zorn der Mehrheit der serbischen Bürger zu Recht gegen die Progressiven und gegen Präsident Vučić richten. So wird das künftige Schicksal der drei verfassungswidrigen Gesetzesentwürfe letztlich ein Indikator dafür sein, inwieweit im heutigen Serbien, wie zu Zeiten von Milošević, die Kluft zwischen Gesellschaft und Staat weiter wächst und unüberbrückbar wird.

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