[Dieser Aufsatz wurde ursprünglich veröffentlicht in Touchstone: A Journal of Mere Christianity (www.touchstonemag.com); er wird hier mit freundlicher Genehmigung in Übersetzung abgedruckt. Anm. d. R.]
Die Zensur von rechtgläubigen Christen und Sozialkonservativen durch „Big Tech“ ist inzwischen zur Routine geworden. Zu den Beispielen der letzten Woche gehört ein Theologieprofessor an der Houston Baptist University, der von Facebook die Mitteilung erhielt, dass sein Konto wegen seiner Kommentare zur Transgender-Politik von Präsident Biden gesperrt worden sei. Der relativ harmlose Daily Citizen von Focus on the Family wurde von Twitter gesperrt, weil er einfachhin festgestellt hatte, dass ein von Biden ernannter Kandidat für ein hohes Amt „eine Transgender-Frau ist, also ein Mann, der glaubt, eine Frau zu sein“. In der Zwischenzeit löschte YouTube Tausende von Stunden von Videos der zugegebenermaßen polemischen Webseite LifeSiteNews – 300.000 Follower der Seite gingen verloren – aus unerklärten, aber leicht vorstellbaren Gründen. Stripe, TransferWise und andere finanzielle „Big Tech“-Unternehmen haben die Konten und Spenderlisten von gleichgesinnten Gruppen eingefroren.
Historischer Hintergrund
Für eine gute Perspektive in dieser Angelegenheit, sei ein geschichtlicher Hintergrund notwendig. Vor 150 Jahren gründete die Young Men‘s Christian Association of New York – die damals von rechtschaffenem Evangelikalismus beseelt war – ein geheimes Komitee zur Bekämpfung von Lastern. Angestoßen durch den jungen Bürgerkriegsveteranen Anthony Comstock ging die Gruppe als New York Society for the Suppression of Vice an die Öffentlichkeit und erhielt 1873 eine spezielle gesetzliche Charta mit Polizeibefugnissen. In den folgenden zehn Jahren blühten Schwestergesellschaften in anderen Staaten auf.
Wie ein Historiker richtig zusammenfasst, bestand die intellektuelle und politische Errungenschaft des Anti-Laster-Kreuzzugs darin, „Abtreibung und Empfängnisverhütung mit der Verfügbarkeit obszöner Literatur in den Straßen der Stadt in Verbindung zu bringen.“ Auch der Zweck war einfach und klar: Schutz der Jugend. Wie Comstock seinen Kollegen sagte: „Wir sind vom großen Befehlshaber beauftragt worden, uns ständig mit einigen der heimtückischsten und tödlichsten Kräfte des Bösen auseinanderzusetzen, die Satan beharrlich gegen die Unversehrtheit der Kinder des gegenwärtigen Zeitalters ausrichtet.“
Diese Arbeit wurde von den führenden Unternehmenstitanen des Tages unterstützt. Zum Vorstand der New York Society gehörten der „Merchant Prince“ der Wall Street, William E. Dodge, der das riesige Bergbaukonglomerat Phelps Dodge schuf, und der Finanzkapitalist Morris K. Jesup (der auch das American Museum of Natural History gründete). Bekanntere Namen unter den Gründungsdirektoren waren: Samuel Colgate, Chef des Seifenunternehmens seiner Familie, der bis zu seinem Tod 1898 Präsident der Gesellschaft war, der Schulbuchverleger Alfred S. Barnes und J. P. Morgan, der Gründer der großen Bank, die noch immer seinen Namen trägt.
Und, um die Wahrheit zu sagen, auch sie bedienten sich bei ihrer Arbeit der Zensur. Das Bundesgesetz von 1873, das auf Betreiben der Anti-Sitten-Gesellschaft erlassen wurde, verbannte aus der US-Post – dem wichtigsten Kommunikations- und Verbreitungsmedium der damaligen Zeit – „jedes obszöne, unzüchtige oder lüsterne und schmutzige Buch, Pamphlet, Bild, Papier, Brief, Schriftstück, Druck oder andere Veröffentlichungen unanständigen Charakters sowie jeden Artikel oder jedes Ding, das zur Verhinderung einer Empfängnis oder zur Erzeugung einer Abtreibung entworfen, angepasst oder bestimmt ist.“ Das Gesetz enthielt Mittel für einen Special Agent, der befugt war, „Beutel und Säcke zu öffnen, um die darin befindliche Post zu untersuchen“ und „alle Briefe und Säcke, Päckchen oder Pakete zu beschlagnahmen …, die entgegen dem Gesetz befördert werden.“ Auf Drängen des Kongresses wurde Mr. Comstock dieser Spezialagent.
Diese Anti-Laster-Krieger hatten freilich ihre Gegner, die sich hauptsächlich in der National Liberal League organisierten. Während sie öffentlich für „freie Meinungsäußerung“ eintraten, war die wahre Agenda der Liga die offene Verbreitung von Pornografie, ein Ende der Ehegesetze, freier Zugang zu Geburtenkontrolle und die umfassende Säkularisierung des amerikanischen Lebens.
Fast ein halbes Jahrhundert lang hatten die Anti-Laster-Gesellschaften jedoch die Oberhand. Pornographen, die sich in den 1840er Jahren die neuen Druck- und Fototechniken zunutze gemacht hatten, wurden unterdrückt. Mehrere tausend von ihnen wurden zu Geld- oder Gefängnisstrafen verurteilt, und der Handel trocknete aus. 1899 erklärte die Bostoner Anti-Sitten-Gesellschaft, dass außer „ständiger Wachsamkeit“ nichts weiter nötig sei. Die Abtreibung, die ebenfalls in den 1840er Jahren eine Phase der kommerziellen Sichtbarkeit genossen hatte, wurde vierzig Jahre später tief in den Untergrund getrieben. Was die Geburtenkontrolle betraf, so machten es die Gesellschaften gefährlich, Verhütung in gedruckter Form zu diskutieren, selbst in medizinischen Texten. Zu Comstocks letzten Aktionen gehörte der Versuch, Margaret Sanger – die spätere Gründerin der Birth Control League of America (dem Vorläufer von Planned Parenthood) – hinter Gitter zu bringen.
Wichtige Lektionen
Warum beschworen wir diese historischen Schatten herauf? Handelt es sich dabei nur um eine weitere wehmütige Erzählung, die „die guten alten Zeiten“ mit unseren aktuellen Störungen vergleicht? Oder ist dies nur ein Beispiel für Freiwild? Denn wenn die Christen einst die Macht der Konzerne und das Gesetz nutzten, um die sexuellen Revolutionäre ihrer Zeit zu verfolgen, ist es dann nicht historische Gerechtigkeit, dass sich der Spieß jetzt umdreht?
Aus diesem Beispiel lassen sich wichtige Lehren ziehen:
Erstens: Das christliche Versagen, das Anti-Vize-Regime zusammenzuhalten, verdient eine genauere Betrachtung. Dieses Rechtsimperium war 1915, im Todesjahr von Anthony Comstock, noch intakt. Zu diesem Zeitpunkt tobte jedoch bereits der Große Krieg in Europa, in den die Vereinigten Staaten zwei Jahre später eintreten sollten. Moralische Verschiebungen folgten in den 1920er Jahren, einschließlich neuer Herausforderungen an das allgemeine christliche Verständnis von Sex, Ehe und Familie. Figuren wie Comstock erschienen nun im besten Fall komisch, im schlimmsten Fall gefährlich zwanghaft. Solche Unternehmensführer wie Dodge, Jesup, Barnes, Colgate und Morgan gingen nicht mehr an der Wall Street spazieren. Und mit Ausnahme der römischen Katholiken, die sich um Pater John Ryan scharten, wurden die christlichen Sozialethiker zu diesen Themen bemerkenswert still. In der Tat befürworteten einige Konfessionen in den 1930er Jahren offiziell die Geburtenkontrolle (und dreißig Jahre später auch die Abtreibung).
Die zweite und damit zusammenhängende Lektion war die verhängnisvolle Hinwendung – sicherlich mit Hoffnung – zum Liberalismus (hier mit kleinem „l“) als Leitfaden für moralische Überlegungen. Vielleicht war der Versuch, die christliche Sexualethik ins Gesetz zu schreiben, ungerecht, fehlgeleitet und sogar unnötig. Vielleicht sollte die öffentliche Politik dem privaten Gewissen erlauben, in Angelegenheiten von Worten, Bildern, Beziehungen, Schlafzimmern und Schwangerschaften zu handeln. Konservative Christen könnten diese Dinge immer noch auf ihre Weise tun, wenn einzelne Anhänger es so wollten, aber sie sollten ihre Ansichten nicht mehr anderen aufzwingen. Stattdessen könnte eine angenehme Meinungsvielfalt herrschen. Ab den 1930er Jahren begannen Bundesgerichtsentscheidungen in diesem Sinne, die „Anti-Sexualitäts“-Gesetze zu demontieren und lösten eine juristische Revolution aus, die in den 1960er und 1970er Jahren einen Höhepunkt erreichte und bis heute anhält.
Die Forderungen des „kapitalisierten“ Liberalismus
Vergessen wurde jedoch der Imperativ eines „kapitalisierten“ Liberalismus. Wie in der National Liberal League der 1870er Jahre vorgezeichnet, hat er nicht mehr Respekt vor einem angenehmen moralischen Pluralismus als die New York Society for the Suppression of Vice. Dieser Liberalismus besteht, sowohl kulturell als auch rechtlich, auf dem freien (sprich: atomisierten) Individuum. Menschliche Bindungen jeglicher Art – seien es Ehemann/Ehefrau oder Eltern/Kind oder Großfamilie oder Glaubensgemeinschaft – müssen jeder rechtlichen Anerkennung oder jedes Schutzes beraubt werden. Das „freie“ Individuum muss in der Lage sein, sein [um ein zeitgenössisches Pronomen zu übernehmen] „eigenes Konzept der Existenz, des Sinns, des Universums und des Geheimnisses des menschlichen Lebens“ zu verfolgen (U.S. Supreme Court, 1992).
In solchen Angelegenheiten stehen Fragen von Sex, Ehe und Familie immer im Vordergrund, weil diese für jedes Verständnis der menschlichen Natur grundlegend sind. Wer sind wir? Warum sind wir hier? Wie sollten wir leben? Christen finden Antworten in der eingefleischten ehelichen Vereinigung von Mann und Frau zum Zweck des Gebärens und Aufziehens von Kindern, des Aufbaus eines starken Heims und der Bindung der Generationen. Gegründet in Genesis 1 und 2, mit Verfeinerungen von Jesus von Nazareth und seinen Aposteln, bevorzugt diese Lebensweise sexuelle Disziplin (Keuschheit vor der Ehe, Treue danach), relativ frühe Heirat, sich ergänzende sexuelle Rollen (Männer als Väter, Versorger und Beschützer; Frauen als Mütter und Ernährer) und große Familien.
Die vollständig liberale Sichtweise verneint jegliche Beschränkungen für die sexuelle Suche eines Individuums. Jeder Mensch ist eines von hundert oder mehr Geschlechtern und muss seine Orientierung durch Suche und Experimentieren finden. Etwas, das sich Ehe nennt, kann zwischen zwei oder mehr Personen entstehen, die eine öffentliche Anerkennung für ihre sexuellen Begegnungen suchen. Aber niemand – weder biologische Eltern, noch Verwandte, noch Kleriker, noch Lehrer, noch Gesetzgeber – darf sich in eine solche Suche oder Beziehung einmischen.
Kein Raum für Kompromisse
Es sollte offensichtlich sein, dass es keinen Raum für Kompromisse zwischen diesen rivalisierenden Auffassungen des menschlichen Wesens gibt. In der Tat ist der Konflikt unvermeidlich, und zwar aus genau dem Grund, den Anthony Comstock vor langer Zeit genannt hat: „die Integrität der Kinder“. Christliche Familien bringen sie hervor, manchmal in Hülle und Fülle. Liberale Beziehungen tun das selten, was den Anhängern dieser Weltanschauung nur eine Option für jede Zukunft lässt: die Kinder der Zeugungswilligen zu fangen, entweder direkt durch Kauf (z.B. Leihmutterschaft) oder legalisierte Beschlagnahme; oder indirekt, durch Indoktrination (z.B. „öffentliche Erziehung“, richtig durchgeführt).
Dieser Konflikt hat in unserer Zeit neue Formen angenommen. Unter den Kämpfern sind „Glitter Moms“, Transgender-Männer, die das Internet nutzen, um Kinder zu werben, damit sie ihre natürlichen Familien verlassen und sich „Glitter-Familien“, wie der ihren, anschließen. Wie Abigail Shrier in ihrem neuen Buch Irreversible Damage: The Transgender Craze Seducing Our Daughters („Der Transgender-Wahnsinn, der unsere Töchter verführt“) beschreibt, ist dieser Vorgang inzwischen weit verbreitet, wobei Staatsanwälte seltsamerweise nur ungern gegen diese Form des sexuellen Kindesmissbrauchs vorgehen.
Noch bezeichnender ist, dass neue Berichte zeigen, dass Planned Parenthood Kliniken einige der größten Anbieter von Cross-Sex-Hormonen des Landes geworden sind, wie Testosteron für Mädchen, die eine medizinische Geschlechtsumwandlung suchen. Das sollte niemanden überraschen, oder? Eine Organisation, die mit einer Kampagne gegen die Empfängnis von Babys begann und dann dazu überging, ihre Abtreibung zu befürworten, hat sich nun dem Vorstoß angeschlossen, männlich und weiblich abzuschaffen, die eigentliche Grundlage des Menschseins. Der Liberalismus hat also den Kreis geschlossen.
Die Wiederbelebung der elterlichen Rechte
Was muss getan werden? Mehr als zuvor sind die Eltern der Schlüssel. Zunächst einmal müssen sie verlangen, dass die Behörden die volle Kraft des Gesetzes gegen die „neuen“ (aber in Wirklichkeit sehr, sehr alten und bekannten) Sexualstraftäter im Internet einsetzen. Darüber hinaus bedeutet verantwortliche christliche Elternschaft die Ablehnung von „Big Tech“-Anreizen und -Wegen und eine Stärkung alternativer, zuverlässigerer Formen des Netzwerkaufbaus und der Kommunikation.
Drittens muss sich christliche Anstrengung auf eine verstärkte Verteidigung der elterlichen Rechte konzentrieren. Die Fähigkeit der Eltern, ihre Kinder vor dem sexuellen Regime des Liberalismus zu schützen, ist derzeit sehr schwach. Dank früherer Gerichtsurteile können die Kliniken von Planned Parenthood an die meisten legalen Minderjährigen so ziemlich nach Belieben Verhütungsmittel verteilen und Abtreibungen durchführen. Gender-Ideologen streben den gleichen Status für ihre Ansprüche an Kindern an.
Diese Rechtslage muss, zugespitzt formuliert, geändert werden. Ein wichtiger aktueller Schritt ist eine große Konferenz über Elternrechte, die für diesen Oktober an der Franciscan University of Steubenville (Ohio) geplant ist. Mit einer Reihe prominenter Co-Sponsoren zielt sie darauf ab, den Schutz von Kindern durch „Elternrechte“ an die Spitze der innenpolitischen Agenda zu setzen. Zu diesem Zweck wurde bereits ein Zusatzartikel für Elternrechte zur US-Verfassung entworfen, der auf eine ernsthafte Anstrengung wartet.
Währenddessen beschleunigt Satan seinen Angriff auf die Integrität der Kinder unserer Zeit. Er scheint sich jetzt seltener zu verstecken. Er ist offener, schamloser in seinen Korruptionen.
Dennoch soll das letzte Wort hier von Jesus selbst kommen. Er sagte zu seinen Jüngern: „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zur Sünde verführt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in den Tiefen des Meeres ertränkt würde.“ Trauen wir uns noch, „Amen“ zu sagen?