Wie auf der offiziellen Website angegeben, fungiert der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten „als Hüter und Ausleger der Verfassung“. Seine „einzigartige Stellung … ruht in großem Maße auf der tiefen Bindung des amerikanischen Volkes zur Rechtsstaatlichkeit und zur verfassungsmäßigen Regierungsgewalt“. Doch am 15. Juni 2020 haben sechs der neun Richter des Obersten Gerichtshofs mit ihrer Entscheidung Verrat an der Verfassung und der Rechtsstaatlichkeit begangen, eine Entscheidung, die – einer Büchse der Pandora gleich – eine Lawine von Problemen in unserer Gesellschaft lostreten wird. Auf dem Spiel stehen unsere Redefreiheit, Religionsfreiheit und der Schutz von Familie, Frauen und Kindern.
Aktivisten brachten den Fall Bostock vor Gericht und ersuchten den Gerichtshof, „sexuelle Orientierung“ und „Geschlechtsidentität“ in das Wort „Geschlecht“ hineinzuinterpretieren, bezugnehmend auf Artikel 7 des Bürgerrechtsgesetzes von 1964, der Arbeitgebern Diskriminierung aufgrund von „Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder nationaler Herkunft“ verbietet. Dass der Begriff „Geschlecht“ natürlich nicht „sexuelle Orientierung“ und „Geschlechtsidentität“ miteinschließt, ist für jedermann mehr als offenkundig. Nichtsdestotrotz haben Aktivisten über Jahre hinweg versucht, den Kongress zur Gesetzesänderung durch Hinzufügen dieser Begriffe zu bewegen. Der Kongress war jedoch nie dazu bereit und die Formulierung blieb unverändert, wie ursprünglich niedergeschrieben. Egal, sagten sich die sechs Richter, denen plötzlich klar wurde, dass das Wort „Geschlecht“ im Gesetzestext sehr wohl „sexuelle Orientierung“ und „Geschlechtsidentität“ miteinbezieht.
Der Gerichtshof schrieb im Wesentlichen den Gesetzestext neu und überschritt folglich seine verfassungsmäßigen Befugnisse, indem es das dem Kongress vorbehaltene Privileg der Legislative an sich riss. In seinem Dissens-Schreiben, einem der heftigsten der jüngeren Geschichte, brachte Richter Samuel Alito seine Empörung zum Ausdruck: „Es gibt nur ein Wort für das, was der Oberste Gerichtshof heute getan hat: Gesetzgebung. Formal gesehen gleicht das vom Gerichtshof veröffentlichte Dokument einer juristischen Stellungnahme zur Gesetzesauslegung, aber das täuscht…. Einen dreisteren Missbrauch unserer Zuständigkeit zur Gesetzesauslegung hat es kaum je gegeben. Der Gerichtshof versucht, die Leser davon zu überzeugen, es setze lediglich die im Gesetzestext verankerten Bestimmungen durch, aber das ist widersinnig…. Der Gerichtshof versucht, seine Entscheidung als zwangsläufiges Ergebnis der textualistischen Schule [Anm. d. Übs.: Betonung der Textgebundenheit bei der rechtlichen Sinnermittlung] der Gesetzesauslegung durchgehen zu lassen, dessen herausragender Vertreter unser verstorbener Kollege Richter Scalia war. Doch niemand sollte sich davon zum Narren halten lassen. Die Meinung des Gerichts ist wie ein Piratenschiff. Es segelt unter textualistischer Flagge, aber in Wirklichkeit repräsentiert es eine Theorie der Gesetzesauslegung, die von Richter Scalia scharf kritisiert wurde…. Viele werden die heutige Entscheidung bejubeln, da sie aus politischen Gründen dahinterstehen… Aber die Frage ist nicht, ob Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität gesetzlich verboten werden sollte. Die Frage ist, ob der Kongress das in seinem Gesetzestext von 1964 getan hat. Und diese Frage kann man unbestreitbar verneinen.“ Richter Clarence Thomas schloss sich Alitos Einspruchsschreiben an, während Richter Brett Kavanaugh einen separaten Dissens einreichte.
Im Grunde muss man kein Richter des Obersten Gerichtshofs sein, um die Inkohärenz des Gerichts in seiner ermüdenden Tirade der Belanglosigkeit zu erkennen. Doch Richter Alito ließ keinen Zweifel: „Der Gerichtshofs versucht, Tatsachen zu vernebeln, indem er seitenlang nicht zur Debatte stehende Belange diskutiert“ und Argumente vorbringt, die nicht nur „unlogisch“, sondern auch „arrogant“ und schlichtweg „falsch“ sind…. Das Gericht behauptet immer und immer wieder, Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität ziehe grundsätzlich oder zwangsläufig eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nach sich…. Aber die Wiederholung einer Geltendmachung macht sie noch lange nicht zur selbigen. Die abermalige Behauptung des Gerichts ist nachweislich falsch“.
Was die Entscheidung des Gerichts unter dem Vorsitz dem Obersten Richters John Roberts besonders schockierend macht, ist die Tatsache, dass das Urteil von Richter Neil Gorsuch verfasst wurde. Dies entpuppt sich als böse Überraschung, gibt er doch vor, das textualistische Vermächtnis des verstorbenen Richters Antonin Scalia zu ehren. Der Fall „politisiert die Judikative und untergräbt genau das, was das Gericht zu wahren verpflichtet ist: das Rechtsstaatsprinzip“, schreibt Princeton-Professor Robert P. George, „und wird auch den letzten Funken Glauben in die moralische und intellektuelle Integrität unserer Justiz zerstören“. Senator Josh Hawley sieht darin einen „Wendepunkt“, ein „Urteil, das einem Erdbeben gleichkommt, und dessen Auswirkungen nicht nur das Arbeitsrecht sondern auch das Sportwesen und die Kirchengemeinden betreffen werden“. Der Geschäftsführerin der Amerikanischen Gesellschaft für Kinderheilkunde Dr. Michelle Cretella zufolge, „sprach sich der Oberste Gerichtshof mit 6:3 Stimmen gegen die Wissenschaft, den gesunden Menschenverstand und das Fundament der westlichen Zivilisation aus. Durch die Neudefinition und Erweiterung des Begriffs ‚Geschlecht‘ um die Bedeutung Geschlechtsidentität sind Frauen aus dem Amerikanischen Recht ausradiert worden“.
Wenn es jemals in der Geschichte einen Zeitpunkt gab, an dem die Verfechter von Glauben, Freiheit und Familie ihre Stimme erheben und handeln sollten, dann jetzt. Wie einst Sir Winston Churchill sagte, können wir uns nicht geschlagen geben. IOF-Präsident Brian Brown mahnt: „Wenn wir verhindern wollen, dass kulturelle Eliten uns und unserem Land ihre Werte aufzwingen, müssen wir stärker und härter zurückschlagen als je zuvor… Wir müssen Druck auf die Politiker ausüben, sie zum Handeln bewegen und sie aus dem Amt stürzen, wenn sie sich weigern. Wir dürfen nicht wortlos aufgeben und zulassen, dass sich unsere Nation in ein Land verwandelt, das nicht mehr wiederzuerkennen ist, das von kultureller Inkohärenz beherrscht wird, das sich nicht zu universellen Wahrheiten bekennt, keinen Respekt vor der eigenen Verfassung und der Rechtsstaatlichkeit kennt, kein Verständnis für die Bedeutung zeitloser Werte besitzt. Ich bin bereit für diesen Kampf und ich fordere Sie auf, sich mir anzuschließen“.