Unser Autor behauptet, die heiligen drei Könige hätten Punkrock gehört. Dann gerät er auch noch mit einem Papst in Konflikt und empfiehlt, Weihnachten einfach mal nicht zu feiern. Eine Fernsehserie für Kinder, in der Zigarren geraucht und Bier getrunken wurde, lobt er ausdrücklich. Am Schluss wird es aber versöhnlich und ein Zauber legt sich auf alles, in Erwartung dieser Heiligen Nacht.
Ich rufe Ihnen zu: Seid Heilige! Geben Sie sich nicht mit weniger zufrieden und lassen Sie sich vor allem nicht von den Forderungen unserer Zeitfreunde in Welt und Kirche ablenken. Um Ihnen einen Vergleich zu ermöglichen, möchte ich mit Ihnen zunächst einen kurzen Blick auf das werfen, was wir Christen heutzutage alles sein sollen: Als pilgerndes Volk Gottes sollen wir mündig, aufgeklärt, engagiert, mit Haltung versehen, für alles und jeden sensibilisiert, gleich viel mehr noch als gleichberechtigt, auf Augenhöhe die Wirklichkeit gestalten und in Diskurse eingebunden sein. Herrlich entlastend wirkt da der Blick auf die Heiligen der Kirche. Eine Vielzahl von Sündern, Zweiflern, Sturköpfen, Sensiblen, aus ihrer Zeit gefallenen und sonstigen Exoten begegnen einem in dieser langen Reihe. Ich weiß, das klingt schon eher nach Ihnen und nach mir. Und deswegen ist es auch alles andere als anmaßend, wenn wir uns gegenseitig hin und wieder daran erinnern, es doch noch mit der Heiligkeit zu versuchen. Die Heiligkeit fordert den Einzelnen absolut. Da ist nicht nur vielfältiges und wiederholtes Scheitern vorprogrammiert. Wer sich darauf einlässt, hat gar keine Kapazitäten mehr übrig, allen möglichen Anwürfen der Welt auch noch zu genügen. Alles hat seinen Preis, alles hat seine Chancen. Machen wir es unseren Mitmenschen zur Abwechslung einmal leicht. Gehen wir auf Sie zu und geben Ihnen das Vertrauen, dass sie brauchen, um nach dem letzten Scheitern noch einmal aufzustehen. Sich noch einmal den eigenen Unzulänglichkeiten zu stellen. Sie haben es verdient und wir auch. Diskussionen über das Große und Ganze sind spannend, aber leider auch verführerisch bequem. Wenn sich immer erst die gesamte Welt ändern müsste, bis der Einzelne die Möglichkeit zu einem ersten zaghaften Schritt erhält, wären wir wahrhaft verloren. Die Welt drängt uns oft genug die Frage auf, was wir als Einzelne bloß tun können. Lassen Sie es uns noch einmal versuchen. Und wenn wir fallen sollten, lassen Sie es uns noch einmal versuchen. Nicht ohne Grund begegnen uns in der Heiligen Nacht gleich drei besondere Charaktere, die wir uns dazu gerne zum Vorbild nehmen können.
Die heiligen drei Könige brachten bei dieser Gelegenheit eben nicht Windeln, Holzrasseln und Kuscheltiere. Ein Umstand, der in den Weihnachtspredigten leider Gottes viel zu selten ausgelegt wird. Sie brechen mit den Regeln höfischer Distanziertheit, welche für Könige aller Kulturen und aller Zeiten schon galten. Sie sind auch nicht einfach nur nett oder gar aus freundlicher Zuwendung den Eltern gegenüber aufgebrochen. Sie brechen mit allen Normen und begehen eine völlig widersinnige Handlung. Dafür gibt es nur zwei Erklärungen. Entweder die Herren hatten zuvor ihren Verstand verloren oder sie legten es, durchdrungen von größter Klarheit und Weisheit und mit aller Gewalt darauf an, die Welt daran zu hindern, mit ihren tausend Schleiern, Konventionen und Ausflüchten den winzigen Funken Wahrheit einzuhegen, der sie in dieser Nacht betreten hatte. Diese Charaktere hätten auch Punkrock gehört und wir können froh darum sein. Wenn es darum geht, zur Rettung der Wahrheit sich auf eigene Faust und sehenden Auges dem Zeitgeist entgegenzustellen, rekrutieren sie besser nicht im Mainstream. Dem Schöpfer der Welt musste das nicht erst erklärt werden. Er kennt uns nur zu gut. Wir vergessen nur allzu gerne, wie es seit jeher um uns bestellt ist. Ein Blick in die Geschichte ist da jedes Mal aufs Neue heilsam. 561 nach Christus begann die erste Synode von Braga unter Papst Johannes III. ihr Ringen um eine ganze Reihe, sagen wir einmal: Evergreens, aus dem prall gefüllten Katalog der Irrlehren. Interessanter Weise musste auch das Weihnachtsfest behandelt werden, was zu folgendem Urteil führte: „Wer den Geburtstag Christi dem Fleische nach nicht wahrhaft verehrt, sondern nur so tut als ob er ihn verehre, und an diesem Tag und am Sonntag fastet, weil er nicht glaubt, daß Christus in der wahren Natur des Menschen geboren wurde, wie Kerdon, Markion, Manichäus und Priscillian sagten, der sei mit dem Anathema belegt.“ (Denzinger, 45. Auflage, Rn. 454). Nun, dem übermäßigen Fasten aus religiösem Eifer als Tatbestand dürfte unsere Zeit wohl kaum verfallen. Gleichwohl ist uns das „so tun als ob“ hinlänglich vertraut. Rufe ich nach einem neuen Tatbestand mit einem Anathema als Strafe? Nein, im Gegenteil. Ich zeige mich nur enttäuscht darüber, dass sowohl die Synode, als auch Papst Johannes III. die Steilvorlage der Irrlehrer nicht genutzt haben, um den Umgang mit Festen und dem richtigen Sinne der Verehrung zu entfalten. So bleibt dieses Urteil in der direkten Auseinandersetzung in einem zufällig bestehenden Konflikt stecken. Auch der Wandel der konkreten Probleme im Verlauf der Jahrhunderte wollen wir hier nicht als Ausrede gelten lassen. Authentizität immerwährender Institutionen und Feste hat selbst einen immerwährenden Kern. Den freizulegen, wäre die große Chance der Synode gewesen. Die Gründe, wegen derer ein Mensch in das „so tun als ob“ verfällt, können vielfältig sein. Und in nicht wenigen Fällen wurde jemandem das Weihnachtsfest von seinen lieben Mitmenschen madig gemacht. In einem solchen Fall hilft keine Verdammung und auch nicht das stumpfe Weitermachen. Es kann helfen, Weihnachten auch einfach mal nicht wie immer zu feiern. In unserem Alltag tut es uns oft gut, von Gewohntem einen Schritt zurückzutreten und neue Luft zu holen. Das schärft den Blick für das Wesentliche. Hilft, Erhaltenswertes von Überkommenem zu befreien und damit die oft geforderte Besinnung zur Abwechslung auch einmal Wirklichkeit werden zu lassen.
Da wir gerade dem Authentischen nachspüren und mein Drang, Ratschläge erteilen zu wollen, noch anhält, möchte ich mit Ihnen eine Kindheitserinnerung teilen. Als kleiner Junge sah ich mit Begeisterung eine Fernsehserie, deren Hauptfiguren ein alter Schreiner und ein kleiner Kobold waren. Unsere deutschen Leser werden sicher wissen, wovon ich spreche. Der Kobold machte allerlei kindliche Späße und der Schreiner war eine Mischung aus Vater und Opa für den Kleinen. Neulich habe ich zufällig eine Folge dieser alten Serie gesehen und in meine Kindheit zurück versetzt folgte ich den beiden auf eine Urlaubsreise in die bayerischen Berge. Um den Beginn des verdienten Urlaubs gebührend zu feiern, zündete sich der alte Schreiner eine Zigarre an, rauchte diese genussvoll an der frischen Luft, vor der Kulisse einer bäuerlichen Idylle, und dazu gab es eine große Flasche Bier. Ich spreche ein großes Lob dafür aus und hoffe, dass es auch in Zukunft genug Erwachsene unter uns geben möge, welche in sich ruhend ein Leben als Erwachsene führen. Erwachsene leben in einer eigenen Welt. Ihr Leben wird sehr wahrscheinlich gelingen, wenn sie sich trainieren die Dinge darin im richtigen Maß zu ordnen. Dazu gehört dann nämlich auch die Fähigkeit, Kinder in ihrer Kindheit in Ruhe und sich selbst nicht zu sehr von dieser reglementieren zu lassen. In unserer Zeit gibt es leider eine überdeutliche Tendenz zur Infantilisierung der Erwachsenen-Welt. Diese Dominanz der vermeintlichen Bedürfnisse der Kinder in ihrem Kindsein lässt uns übersehen, dass die Kindheit kein statischer Zustand ist. Das Kind entwickelt sich auf etwas zu. Kinder wollen herausgefordert werden, zu etwas aufschauen, entwickeln erst Ehrgeiz, wenn etwas nicht sofort erreichbar ist. Sie sind empfänglich für das, was größer ist als ihre kleine Welt. Dem Weihnachtsfest würde auch in diesem Sinne ein neues Maß an Strenge und Mysterium sicher gut zu Gesicht stehen. Jesus debattierte als Kind mit den Schriftgelehrten im Tempel. Dabei wollen wir nicht übersehen, dass Gott so etwas selbstverständlich möglich war. Im Wesentlichen agierte Jesus aber als Erwachsener mit Erwachsenen. Es geht Gott um die Seele, den ganzen Menschen, das Leben und die Wahrheit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Das ist nichts für den Sandkasten. In unzähligen Fällen wird das gesamte Fest rund um die Bedürfnisse und vermeintlichen Wünsche der Kinder herum gestaltet. Der Klamauk und die rein kindliche Ausgestaltung mögen zunächst Freude bringen, sind aber nicht sinnstiftend. Die Kinder entwachsen dieser kleinen und künstlichen Welt und damit verliert das gemeinsame Feiern dann sein Fundament. Es verläuft sich irgendwie und die Pfade zum Sinn all der Riten und Gebräuche fallen ins Dunkel. Und bevor Sie jetzt loslaufen und sich darüber beklagen, ich hätte Ihren Kindern den Spaß zu Weihnachten austreiben oder Ihnen eine Schachtel Zigarren verkaufen wollen, lesen sie den Absatz bitte noch einmal. Das Gegenteil ist der Fall.
Da stehen sie also, unsere heiligen drei Könige. Und wie sie, haben wir auch in diesem Jahr eine lange Reise hinter uns. Auch in diesem Jahr waren wir stark, sind gefallen, haben uns nach besten Kräften gestützt und uns gegenseitig mit Leidenschaft ein Bein gestellt. All das haben wir auch in diesem Jahr versucht vor dem Spiegel der Heiligen Schrift zu verstehen. Es einzuordnen. Unserem Leben irgendwie ein Stückchen Herr zu werden. Und so beachtet die Welt natürlich die Bergpredigt und die Hochzeit zu Kana, den Einzug in Jerusalem und das letzte Abendmahl. All das hat seinen Platz, ist verständlich, rational erklärbar und in seinen wesentlichen Bedeutungsebenen zu erfassen. Aber kein Fest im Jahreskreis der Kirche vermag uns so zu ergreifen wie Weihnachten. Selbst, wenn wir vermeintlich genau hinsehen, sehen wir oft noch nicht, was sich uns im Inneren so deutlich aufdrängt. Natürlich können sich alle Eltern mühelos in das Wunder der Geburt, die einzigartige Gefühlslage und die Freude mit einem neugeborenen Kind zurückversetzen. Weihnachten berührt aber nicht nur die Eltern auf ganz besondere Art und Weise. Es ist dazu geeignet, in jedem Erwachsenen eine ganz spezielle Gefühlsregung hervorzurufen. Lassen wir uns nicht ablenken von dem, was offensichtlich ist.
Das Christuskind im Stall von Bethlehem ist wie alle Neugeborenen frei von Schuld. Jedes Jahr schauen wir auf die Krippe und sehen uns, wie wir selbst einmal waren. Was ist alles seit damals geschehen? Was ist uns alles widerfahren? Vor allem aus Trägheit und Eigennutz. Jeder von uns tat seine ersten hilflosen Atemzüge in dieser unfassbar fremden Wirklichkeit und wurde auf die gleiche Art angesehen. Als unschuldig. Wir wissen, dass wir es nicht mehr sind. Ganz tief in unserer Seele verstecken wir also vor unseren Mitmenschen und vor allem vor uns selbst den Wunsch, noch einmal so angesehen werden zu können. Hier ist die Quelle unserer größten Selbstzweifel und der Ausgangspunkt unserer Reise auf dem Weg über uns selbst hinaus. Mit seiner Menschwerdung schenkte uns Gott einen Anlass, uns daran zu erinnern und etwas außergewöhnliches wagen zu können. Ich wünsche uns, dass wir all unseren Mut zusammennehmen werden, um an Weihnachten andere Menschen anzusehen, als seien sie noch einmal unschuldig. Zuzulassen, dass man uns ansieht, als seien wir noch einmal unschuldig. Dieses Geschenk Gottes birgt jedes Jahr auf das Neue eine Chance, die, wenn wir sie ergreifen, ungeahnte Wirkung entfaltet. Vielleicht gerät sogar schon bald jemand von Ihnen in Verdacht, ein Heiliger zu sein. Das ist der Zauber, der sich in Erwartung dieser Heiligen Nacht auf alles legt. Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien, Freunden und Feinden gesegnete und fröhliche Weihnachten.