In der Welt hat es neben den transzendenten Religionen immer auch »säkulare Religionen« gegeben. Radikal schick zu sein, gehört dazu, mit seinem Klerus, seinen Tempeln, seinen Liturgien, seinen Bußriten und sogar seinen Abtrünnigen. Serena Di, eine junge Schriftstellerin, hat zehn Jahre lang in den Salons der drei großen italienischen Städte verbracht, um dann diesem Lebensstil zu entsagen – weil er inhaltsleer war.
Sie berichtet von gelangweilten Mitgliedern der römischen, neapolitanischen oder mailändischen oberen Mittelschicht, die sich von einer Terrasse zur anderen, von einem Brunch zum nächsten bewegen, vor Hintergründen, die der »Großen Schönheit« würdig sind. So viele lustig lebende Klischees, die aber nicht wissen, dass sie es sind.
Bekenntnisse eines bereuenden radikalen Schickimicki-Mädchens bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen autobiografischem Roman und Satire der Sitten. Der wichtigste Aspekt ist jedoch der intime und persönliche. »Manchmal muss man sein Handeln kritisch betrachten und das Klischee vermeiden: »Wenn ich zurückgehen würde, würde ich alles so machen wie vorher…«, vertraut sie iFamNews heiter an.
Daher auch der Titel des Buches, das auf der Welle der Erinnerungen von einem Lebenswandel um 360 Grad erzählt: von der Oberflächlichkeit zur aufrichtigen Selbstbeobachtung, vom Individualismus zur Familie, vom Materialismus zur Spiritualität, vom Ego zu Gott.
»Dies ist mein Zeugnis. Ich wollte eine bestimmte Weltanschauung reflektieren«, sagt die junge Schriftstellerin. »Ich habe das undankbare Etikett des radikalen Schickimickis benutzt, aber es ist sicher nicht meine Absicht, die Leute, mit denen ich früher abhing, zu verleumden. Auch Atheisten und Nihilisten versuchen auf ihre Weise, ihrem Leben einen Sinn zu geben und sind daher zu respektieren. Es ist aber auch wahr, dass der ‚Radikalismus‘ seine eigenen feinen Dogmen hat, und dass einer der Kulte der heutigen Zeit die Ersetzung von Gott durch das ‚Ich‘ ist. Indem sie ihren Wunsch nach Freiheit von jeglicher Religion oder Wertvorstellung zur Schau stellen, suchen radikale Schickeria ihre eigenen Absolutheiten und ihre eigene Spiritualität auf eine Weise, die oft selbstverherrlichend und selbstzerstörerisch ist. Wenn Sie Freiheit wollen, sollten Sie sich immer fragen, worauf Sie sich einlassen. Ich habe mich frei entschieden, mich dem katholischen Glauben zu nähern, und heute bin ich eine freie Frau. Sind andere auch so frei?«
Eine Eigentümlichkeit des radikalen Schickimicki-Mikrokosmos ist die Unsicherheit in jeder Form: arbeitstechnisch, existenziell, emotional, wertmäßig. Was die Arbeit betrifft, hat Serena Di diese Unsicherheit in den Kulturmagazinen, in denen sie gearbeitet oder Praktika absolviert hat, selbst erlebt. Es ist auch wegen dieser Unischerheit, dass radikale Chics Umgebungen hyperkompetitiv sind, manchmal in einem solchen Ausmaß, dass es auch die »psychische Gesundheit« beeinträchtigt, sagt Serena. Die Hyperkompetitivität manifestiert sich auf viele Weisen: »Sie neigen dazu, dich zu etikettieren, um dir eine ‚schnelle ID‘ zu geben. Es ist alles eine Frage, welchen Job man macht, in welchem Stadtteil man wohnt, welches Auto man benutzt, welche Kleidung man trägt. Gerade in den Bereichen Mode, Kino oder Kommunikation wird sehr viel Wert auf Äußerlichkeiten gelegt und jeder muss sich anpassen.«
Offensichtlich wird in einer Welt, in der Arbeit alles ist und jeden Moment des Tages und der Nacht durchdringt, »die Familie als ein Hindernis für die persönliche Entfaltung gesehen«. Es ist eine Welt, in der Frauen »mit Karriereerwartungen beladen« werden, aber dann in Wirklichkeit zu Sklaven von unflätigen Arbeitgebern und Frauenhelden werden, die immer bereit sind, den Liebhaber vom Dienst bevorzugt zu behandeln. Insbesondere in der Kommunikationsbranche »sagen sie dir ganz klar: ‚Wenn du eine Familie und Kinder hast, nehmen wir dich nicht‘«. Wenn man um Mitternacht eine Nachricht oder einen weitergeleiteten Anruf nicht entgegennimmt, »wird man automatisch bestraft«. Jetzt, wo sie verheiratet und Mutter eines fast zweijährigen Mädchens ist, sieht Serena alles diametral anders. »Frauen, die einfach nur arbeiten wollen, haben jedes Recht dazu… aber warum wird denen, die Mütter sein wollen, nicht geholfen und ihnen nicht erlaubt, auch nur ein oder zwei Jahre zu Hause zu bleiben, um sich um ihr Kind zu kümmern?«
Trotz allem hat Serena Di in ihrem »alten Leben« auch positive Erfahrungen gesammelt und ist mit mehreren Menschen in Kontakt geblieben. »Ich muss sagen, dass ich Glück hatte«, erklärt sie: »Ich hatte phantastische Kollegen und die wenigen, die im Buch gelandet sind, möchte ich gar nicht verurteilen: es sind Menschen, die sich nicht nur bei mir schlecht benommen haben und auch deshalb eine gewisse Berühmtheit in der Umgebung genießen…«. In dem Buch erzählt Serena von einigen Demütigungen, die Menschen erleiden, die einem bestimmten »magischen Zirkel« angehören, in dem trotz des chaotischen Lebensstils sehr strenge Verhaltensregeln gelten. Wenn z.B. unwahrscheinliche und unverdauliche exotische Gerichte ausprobiert werden, muss jeder seine Anerkennung zeigen und wehe dem, der »Der König ist nackt« schreit.
»Das hatte ich wirklich nicht erwartet: Ich erhielt Dutzende von E-Mails und Komplimenten von Freunden und Kollegen, von denen ich seit Ewigkeiten nichts mehr gehört hatte«, so die Autorin weiter. »Einige von ihnen haben mein Buch aus Neugierde gelesen, vielleicht auch nur, weil sie mich kannten. Einige von ihnen, wie ich, kommen dem Glauben näher, andere nicht, aber sie mochten es trotzdem.«
Glaube, genau. Für Serena war die Beziehung zum Katholizismus eher schmerzhaft. Als Kind betete sie, ermutigt von ihrer Großmutter, den Rosenkranz; in der Mittelschule trug dann eine »sehr ideologisierte Lehrerin« dazu bei, sie von der Kirche zu distanzieren und ihr seltsame Schuldgefühle einzuflößen. Jetzt, da diese Lehrerin verstorben ist, bedauert Serena, dass sie sich nicht persönlich mit ihr versöhnen konnte, aber sie fügt sofort hinzu: »In meinem Herzen habe ich ihr verziehen.«
Vor drei Jahren lernte Serena Di einen jungen amerikanischen Mann kennen, der gerade konvertierte. Er eroberte sie mit einer entwaffnenden Galanterie im alten Stil, mit einer Rose in der Hand und einem Rosenkranz am Handgelenk. Heute, verheiratet und Eltern eines kleinen Mädchens, leben sie zwischen den beiden Seiten des Ozeans. Jetzt in Boston, planen sie, bald nach Italien zu kommen (sobald die Anti-Corona-Einschränkungen es erlauben). Serena wurde durch das Beispiel ihres Mannes buchstäblich erobert. »Ich wollte nicht aus Gewohnheit kirchlich heiraten, sondern erst, nachdem ich mit Gott völlig versöhnt war: Wir haben mit viel Gewissen und mit viel Freude ‚Ja‘ gesagt.« Vor der religiösen Bekehrung gab es jedoch die menschliche Bekehrung. Eine Familie zu gründen, verändert jede Perspektive und Serena Di bestätigt, dass die Realität immer besser ist als die glitzerndste radikal-schicke Lüge.