Während sich in Italien die Aufregung über den angekündigten Fall von „assistiertem Suizid“ noch nicht gelegt hat, erreichen uns aus Spanien Nachrichten ganz anderer Art. Für jeden Menschen, der sterben will, gibt es Hunderte oder sogar Tausende, die leben wollen. Letzteres wird in den Medien jedoch kaum oder gar nicht erwähnt. Durch die Ablehnung der angebotenen Sterbehilfe hat vor kurzem ein junger Influencer den perversen Mechanismus der Kultur des Todes zum Stillstand gebracht.
Jordi Sabaté Pons ist 37 Jahre alt und seit sieben Jahren an ALS erkrankt. Er lebt in Barcelona und ist ein bekannter Video-Blogger. Auf Twitter hat er fast 80.000 Follower, seinen YouTube-Kanal haben rund 20.000 Nutzer abonniert. Die Themen, die er in seinen Videos behandelt, haben einen ganz klaren gemeinsamen Nenner: die Liebe zum Leben, trotz Krankheit, Behinderung und Leidens.
Vor einigen Tagen erhielt Jordi zu Hause einen nicht ganz so willkommenen Besuch, den er in einem Tweet folgendermaßen beschreibt: „Wir sind dabei, eine wirklich schöne Gesellschaft zu erschaffen. Heute kam eine Sozialarbeiterin vorbei. Sie fragte mich, was ich tun würde, wenn ich eines Tages an eine Maschine angeschlossen wäre oder künstlich ernährt werden müsste. Also, so wie es bei mir jetzt schon der Fall ist. Blind war sie nicht. Dann bot sie mir Euthanasie an. Einfach nur widerlich.“
Es ist nicht selbstverständlich, dass eine so schwere Behinderung den Betroffenen oder seine Familie nicht zum „sanften Tod“ verleitet. Sabaté hat dies jedoch nie in Betracht gezogen. Im Gegenteil, insbesondere seit der Verabschiedung des spanischen Euthanasiegesetzes setzt er sich immer stärker für das Leben ein. In den letzten vier Jahren ist der katalanische Youtuber trotz seiner Sprach- und Bewegungsunfähigkeit zu einem Sprecher im Kampf gegen ALS geworden. Dank des Infrarot-Augenlesesystems, das er seit Jahren für die von dieser Krankheit Betroffenen erprobt, kann er, wie er es nennt, „Interviews mit meinen Augen“ führen.
Eine Runde Champagner für alle
Die ersten drei Jahre seiner Krankheit verbrachte Jordi „auf einer Pilgerreise von einem Arzt zum anderen“. Dem körperlichen Schmerz folgte der seelische Schmerz: Nach den ersten Symptomen verließ ihn seine damalige Freundin und beschuldigte ihn, seine Gesundheit zu vernachlässigen. Die Krankheit zwang ihn, wieder bei seinem Vater einzuziehen, der Witwer und ebenfalls krank war. Kein Spezialist konnte eine angemessene Diagnose und Behandlung erstellen. Als bei ihm die Irreversibilität der Krankheit diagnostiziert wurde, verspürte Jordi „ein Gefühl der Erleichterung, weil ich endlich wusste, was ich hatte und womit ich leben musste; die Ungewissheit, die mich am Leben hinderte, war vorbei“. Zur gleichen Zeit begann Jordi an der Seite von Lucia, die später seine Frau wurde, sein neues Leben.
Der Wendepunkt kam mit dem Kauf des Geräts, das es ihm ermöglicht, mit seinen Augen über ein Infrarotsystem zu kommunizieren. Die Kosten in Höhe von 12.000 Euro hat er aus eigener Tasche bezahlt, ohne staatliche Beihilfe oder Spenden von Privatpersonen. Im Interview mit 20 Minutos scherzt der Youtuber: „Ich kann wie jeder andere kommunizieren, auch wenn ich mit meinen Augen nicht so schnell sprechen kann wie mit meinem Mund.“ Er hofft nun, dass öffentliche Einrichtungen Patienten wie ihm bei der Anschaffung eines solchen Gerätes helfen werden, denn, so erklärt er: „Kommunikation ist keine Laune, sondern eine lebenswichtige Notwendigkeit“.
Auf die Frage, wie er das Leben genießen kann, antwortet Jordi schlicht: „Ich bin sehr glücklich, am Leben zu sein. Ich kann sehen, hören, Liebe machen, einen guten Cava [den typisch katalanischen Sekt] direkt im Magen probieren, mit meinen Lieben zusammen sein. Das Leben ist ein Geschenk, ich genieße die einfachen Dinge und jeden schönen Moment“.
Was die Politik betrifft, so hält Jordi es für „eine Gräueltat, dass in Spanien ein Euthanasiegesetz verabschiedet wurde anstatt eines Gesetzes, das uns ein Leben in Würde oder einfach nur ein Leben ermöglicht. Derzeit hilft uns der Staat nur beim Sterben. Aber wenn wir uns für das Leben entscheiden und nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um unsere Behandlung zu bezahlen, bleibt uns nur der Tod“. Das ist „erschreckend“, sagt der Influencer und nennt Premierminister Pedro Sanchez einen „Lügner“, der vor zwei Jahren, am Vorabend der Wahlen, „mir in aller Öffentlichkeit versprochen hat, ALS-Kranken zu helfen, am Leben zu bleiben“. Doch nun, nachdem er die Sterbehilfe legalisiert hat, „ist das Einzige, was er uns anbietet, der Tod“.
Jordi gibt monatlich etwa 6.000 Euro für seine Pflege und medizinische Versorgung aus, was er nur dank der Großzügigkeit seiner Familie bewältigen kann. „Wären sie nicht gewesen“, sagt er, „wäre ich schon längst zum Sterben verurteilt.“ Mit seiner Invalidenrente kann er gerade so die Wohnungsmiete bezahlen. „Ich kämpfe für die Rechte von ALS-Patienten, die keine finanziellen Ressourcen zum Leben haben“, betont er. „Allein schon der Gedanke bringt mein Blut zum Kochen.“
Obwohl er kein „praktizierender Katholik“ ist, sagt Jordi unverblümt: „Wer behauptet, gläubig zu sein, und dann seinen Glauben infolge von Krankheit oder eines Schicksalsschlags verliert, hat nie wirklich geglaubt, denn ein solches Verhalten ist sehr kindisch, egoistisch und egozentrisch.“
Die Lage in Frankreich und Italien
Der Beitrag von Jordi Sabaté ist nur einer von vielen, die sich gegen den „assistierten Suizid“ und die Euthanasie für Schwerkranke aussprechen. Die 74-jährige Französin Sylvie Menard hat in ihrer besonderen Eigenschaft als Onkologin und Krebspatientin erlebt, wie sich ihre Lebensperspektive mit dem Ausbruch der Krankheit radikal verändert hat. „Der Tod wird real und man merkt, dass man einen großen Lebenswillen hat, dass man auch im ungünstigsten Fall weiterkämpfen will“, erklärte Dr. Menard vor einigen Jahren. Sie selbst hat immer davon abgeraten, eine Patientenverfügung zu verfassen. „Wenn man aufgrund von Altersdemenz oder Alzheimer nicht mehr in der Lage ist, zu verstehen, muss der Arzt das, was man niedergeschrieben hat, befolgen und wird einen nicht mehr behandeln.“
In Italien haben zwei Fälle für Schlagzeilen gesorgt: Max Tresoldi und Salvatore Crisafulli. Tresoldi erwachte 2001 aus einem Koma, in dem er zehn Jahre lang in vegetativem Zustand gelegen hatte. Im Jahr 2013 stand seine Geschichte im Mittelpunkt einer heftigen Kontroverse während einer Fernsehsendung auf RaiUno: Die Moderatorin Alda D’Eusanio behauptete, Tresoldis Leben sei nicht lebenswert, was die Mutter des jungen Mailänders in Rage brachte. Der zweite Fall betrifft Salvatore Crisafulli (1965-2013) aus Catania, dem nach einem Unfall im Jahr 2003 fälschlicherweise die Diagnose „dauerhaftes Wachkoma“ gestellt wurde. Crisafulli war aber in Wirklichkeit vom Locked-in-Syndrom betroffen, d.h. er war in der Unbeweglichkeit seines eigenen Körpers gefangen, unfähig zu kommunizieren, aber bei Bewusstsein. „Ich lag im Koma, aber ich habe alles gehört und gespürt“, schrieb er in seiner Autobiografie Con gli occhi sbarrati [Mit weit aufgerissenen Augen]. „Ich konnte weder sprechen noch mich bewegen. Das Einzige, was ich tun konnte, um mich verständlich zu machen, war zu weinen.“ In den letzten zehn Jahren seines Lebens kämpfte Salvatore mit Hilfe seines Bruders Pietro energisch um die Verbesserung seines körperlichen Zustands und probierte sogar eine Stammzellenbehandlung. Er starb im Alter von 47 Jahren, nachdem seine von den Institutionen völlig im Stich gelassene Familie fast der Versuchung unterlag, ihn zur Euthanasie nach Belgien zu bringen. Crisafulli selbst hatte diese Option nie in Erwägung gezogen.