Twitter: Trump wurde zensiert, Taliban werden geduldet

Der Krieg in den sozialen Medien ist keineswegs virtuell, sondern führt zu echten Verlusten, allen voran der Wahrheit

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Ein bemerkenswerter Artikel von Sebastiano Flaminio, einem Experten auf dem Gebiet des Schutzes personenbezogener Daten im Internet, ist in der letzten Ausgabe der juristischen Fachzeitschrift L-Jus unter dem Titel „Soziale Netzwerke gegen Trump: Die Notwendigkeit, das Verhalten im Netz zu reglementieren“ [im Original: Social network contro Trump: l’esigenza di regolare la vita sul web] erschienen.

Die erste Feststellung ist so logisch und einfach, dass sie auf der Hand liegt: „In den 1990er Jahren hätte niemand akzeptiert, ständig verfolgt zu werden, und es wäre auch nicht akzeptabel gewesen, Informationen über die eigene Privatsphäre preiszugeben“. Und dennoch, so der Autor weiter, „akzeptieren Menschen heutzutage, gerade wegen der Art und Weise, wie Technologie eingesetzt wird, mit Selbstverständlichkeit die Überwachung ihrer Bewegungen – sei es um einen GPS-Navigationsdienst zum Erreichen eines bestimmten Standort zu nutzen, sei es einfach nur, um aller Welt mitzuteilen, ein Foto von einem berühmten touristischen Wahrzeichen geschossen zu haben. Mehr noch, sie akzeptieren ohne weiteres die Übermittlung ihrer persönlichen Daten, um alle möglichen im Internet verfügbaren Dienste kostenlos nutzen zu können, wobei sie dieser Entscheidung nur äußerst geringe Bedeutung beimessen“.

Einfach, markant, realistisch. Vor allem, wenn man an den Alltag vieler Menschen denkt, falls es stimmt, was Flaminio sagt, nämlich dass „diese Dinge begannen, größere Auswirkungen zu haben, als alle Welt dazu überging, einen Teil des eigenen Lebens auf digitale Plattformen zu verlagern und dort eine Vielzahl von Tätigkeiten zur Entwicklung der Persönlichkeit auszuführen“. Die Rede ist natürlich von Facebook, Instagram, TikTok für junge Leute, Twitter für Informationen und LinkedIn für Berufstätige, Dating-Plattformen aller Art und für jeden Geschmack, bis hin zu Apps für Sportler und Amateure, die ihre eigenen Leistungen überwachen, oder Apps zur Planung von Ausflügen mit Freunden. Soziale Netzwerke, eben.

Die Rechtsprechung darf diese neue und teils verblüffende Tatsache nicht ignorieren, denn, wie der Autor des Artikels unterstreicht, ist es unabdingbar, „einen wirksamen Schutz der Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten, indem traditionelle juristische Kategorien aufgegriffen, neu angepasst und zur Lösung neuer Probleme eingesetzt werden“.

Aber das ist erst der Anfang.

Manchmal beschweren sich Privatpersonen darüber, dass Social Media-Plattformen Beiträge zensieren, die nicht mit dem Mainstream-Gedanken übereinstimmen, besonders wenn es um „heikle“ Themen geht: zum Beispiel Abtreibung, Euthanasie oder italienische bzw. ausländische Politiker, die man nicht besonders mag. Dabei handelt es sich oft um Themen und Persönlichkeiten, die sich offen für den Lebensschutz einsetzen. Es besteht die Möglichkeit einer Sperre der veröffentlichten Beiträge, der Unmöglichkeit, andere Personen in den eigenen Beiträgen zu „taggen“ oder Links einzufügen. Man verwendet den Konjunktiv und tausend Vorsichtsmaßnahmen in seinen Kommentaren, weil das Thema schwierig ist. Das Gefühl, sich manchmal in einer Art „Blase“ zu befinden, in der die Realität anders tickt, macht sich wie von selbst im Kopf breit.

Das ist nur die halbe Wahrheit.

Der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald J. Trump, wurde von Facebook, Twitter und anderen Plattformen gesperrt (technisch gesehen „verbannt“), vielleicht für zwei Jahre oder vielleicht auf Lebenszeit. Dies geschah, als ihm am Ende seiner Amtszeit die politische Verantwortung für den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 angelastet wurde und ihm vorgeworfen wurde, mit seiner Persönlichkeit und seinen polarisierenden Worten, dem gesellschaftlichen Frieden geschadet und Hass geschürt zu haben.

Es ist jedoch merkwürdig, dass man dieser Tage auf Twitter die „erleuchteten Gedanken“ des Sprechers der Taliban lesen kann, die kürzlich mit Gewalt die Macht in Afghanistan zurückerobert haben.

Es scheint sich nicht um einen Fake zu handeln, aber wer kann das mit Sicherheit sagen in dieser Welt, die nicht aus Menschen aus Fleisch und Blut, sondern aus Daten und Metadaten besteht?

An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass soziale Netzwerke nur dem Anschien nach umsonst sind. In Wirklichkeit erwirtschaften sie einen Haufen Geld, was natürlich mit der Anzahl der Klicks auf jeden veröffentlichten Inhalt zusammenhängt, was wiederum eine Flut von Werbeeinnahmen, die sich aus dem Handel mit  Nutzerdaten ergibt, generiert – da würde selbst Dagobert Duck vor Neid erblassen.

In Bezug auf Trumps vielleicht zu lockere Nutzung sozialer Medien stellt Flaminio ganz klar fest, dass „die beiden sozialen Netzwerke gut vier Jahre lang von der Anwesenheit des lästigen Nutzers profitiert haben, da sie dadurch einen enormen Kapitalzufluss durch Sponsoring, Nutzerlogins und Neuregistrierungen und daraus resultierender Werbung verzeichnen konnten. Währenddessen haben sie sich niemals Gedanken über die Tragweite der Aussagen in den Posts gemacht, die die gesamte Amtszeit des Präsidenten geprägt haben“.

Übersetzt bedeutet das was? Jede Menge Geld, Kohle, Asche.

Sebastiano Flaminio führt seine interessante Abhandlung unter rein juristischen Gesichtspunkten fort, die bezüglich der Rechtslage Italiens von besonderer Bedeutung sind und deren Lektüre für Fachleute sicherlich zu empfehlen sind.

Mein Interesse richtet sich nun auf eine andere Veröffentlichung zum selben Thema. Es handelt sich um das E-Book „Soziale Netzwerke und Verantwortung: Die offenen Fragen des Konflikts zwischen den digitalen Plattformen und Trump“ [im Original:  Social è responsabilità!: Le questioni aperte dallo scontro tra le piattaforme digitali e Trump], das von Antonio Palmieri, einem Abgeordneten von Forza Italia und nationalem Leiter der Wahlkampf- und Internetkommunikation der Partei, verfasst wurde. Nahezu ein instant book und doch wieder nicht. Denn es verdichtet eigentlich Themen, die schon lange im Raum stehen und die keineswegs nur den ehemaligen US-Präsidenten betreffen, obwohl das Buch von seinem Fall ausgeht. Diese Themen betreffen uns alle.

Wie Palmieri im April, als das Buch erschien, erklärte, ist es in der Tat unerlässlich, „die ‚Logik des Augenblicks’ hinter sich zu lassen. Seit den Ereignissen Anfang Januar sind etwas mehr als drei Monate vergangen. Vielleicht genug Zeit, um viele der Probleme anzugehen, die sich aus den Geschehnissen ergeben haben: Probleme, mit denen wir uns noch lange Zeit beschäftigen müssen. Deshalb ist es notwendig, den Blick zu weiten, um nicht den Fehler zu begehen, vor dem Giovanni Boccia Artieri, Professor für digitale Medienökonomie an der Universität Carlo Bo in Urbino, gewarnt hat: Die #deplatformtrump-Diskussion auf das Thema der Meinungsfreiheit oder auf die Aussage „also unterstützt ihr einen Faschisten“ zu begrenzen, ist falsch. Das Problem liegt noch tiefer. Es geht um die Wechselwirkungen zwischen uns und den digitalen Plattformen und die Wechselwirkung zwischen den Plattformen und der in der öffentlichen Debatte vertretenen Auffassung (@gba_mm, 9. Januar)“.

Es geht uns an, uns alle.

Man muss verstehen, wie eine Person des öffentlichen Lebens, die über nahezu unbegrenzte finanzielle Mittel verfügt, nicht einfach auf die Sperre durch die Social Media pfeifen kann. Das ist nicht ganz richtig, aber teilweise könnte es stimmen. Wer ohne soziale Medien stumm wäre, ist in Wirklichkeit der ganz normale Bürger, Otto Normalbürger, ohne Bekanntschaften, Beziehungen oder Vitamin B. Wer von uns hat die sozialen Medien nicht einmal genutzt, um seinem Unmut Gehör zu verschaffen, nachdem eine einfache Beschwerde an einen Dienstleister keine Wirkung gezeigt hat? Und prompt kam wie durch ein Wunder nach der negativen „Publicity“ in den sozialen Medien der versöhnliche und freundliche Anruf des Kundendienstes? Hierbei handelt es sich selbstverständlich um die unterste Ebene. Aber von da fängt immer alles an.

Antonio Palmieri sammelt viele interessante Meinungen und unterstreicht vor allem, dass es „[…] undenkbar ist, den Staat oder die jeweilige Regierung mit der Kontrolle und der Mäßigung der Inhalte zu betrauen. Es ist technisch und vor allem politisch undenkbar. In einer vollendeten Demokratie ist es unmöglich, der politischen Macht die Entscheidung darüber zu überlassen, was gesagt werden darf und was nicht, oder wer das Recht hat, zu sprechen.“

Derzeit tobt auf allen Plattformen die hitzige Kontroverse zwischen den verschiedenen Lagern der so genannten Pro-Vax, No-Vax, Pro-Green-Pass und No-Green-Pass [Befürworter und Gegner der COVID-Impfung bzw. des digitalen COVID -Zertifikats]. Dabei geht es um den berühmt-berüchtigten grünen Pass, der in Pandemiezeiten Zutritt und Sicherheit garantieren soll. Auch iFamNews hat sich damit befasst und wird dies auch weiterhin tun und sich mit Sachlichkeit und gesundem Menschenverstand um eine Beurteilung bemühen, die der Wirklichkeit entspricht und nicht etwa „aus dem Bauch heraus“ getroffen wird.

Angenommen man würde die Stimmen derer, die auf den sozialen Plattformen – der modernen und unentbehrlichen virtuellen Agora – aktiv sind, wirklich zum Schweigen bringen, wer würde sich dann noch in dieser Debatte zu Wort melden? Es lohnt sich, sich diese Frage zu stellen, denn wie heißt es doch so schön: „Heute mir, morgen Dir“.

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