Last updated on September 9th, 2021 at 05:26 am
Die Präambel der US-Verfassung beginnt mit den Worten „Wir, das Volk…“.
Zu keinem anderen Zeitpunkt in der Geschichte der Abtreibungslegalisierung in den USA – die sich mittlerweile über fünf Jahrzehnte erstreckt – haben diese Worte so viel Hoffnung in der Pro-Life-Bewegung geweckt.
Als am Mittwoch in Texas die Uhr Mitternacht schlug, griff der US Supreme Court nicht in das staatliche Verbot von Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche ein. Zweifellos war man der Abschaffung von Roe vs. Wade in den USA noch nie so nahe wie heute. Und vielleicht hat niemand diese Entwicklung besser auf den Punkt gebracht als der Anwalt Danny Cevallos, der gegenüber NBC erklärte: „Dieses Gesetz ist entweder brillant oder teuflisch, je nachdem, auf welcher Seite der Debatte man steht.“
Und warum? Weil im Grunde „wir, das Volk“ mit der Durchsetzung von SB 8 [Senate Bill 8: das Gesetz des Senats, das die Abtreibung in Texas nach der sechsten Woche verbietet] beauftragt wurden, nicht die Behörden des Staates Texas. Und die Nation horcht auf.
Im Gegensatz zu den Pro-Life-Gesetzen anderer Bundesstaaten haben nun alle Bürger die Möglichkeit, Abtreibungsanbieter oder jeden, der bei der Durchführung einer Abtreibung nach der 6-Wochen-Frist geholfen hat, zu verklagen. Und die Strafen sind beträchtlich: Einzelpersonen können einen finanziellen Schadenersatz von bis zu 10.000 Dollar pro Beklagtem einfordern.
Auch der Ausdruck „wilder Westen“ bekommt eine ganz neue Bedeutung. Denn das ist er. So hat der Oberste Gerichtshof der USA in der Vergangenheit immer verhindert, dass Bundesstaaten Abtreibungen vor der Lebensfähigkeit (normalerweise zwischen der 22. und 24. Schwangerschaftswoche) verbieten. Wie Abtreibungsbefürworter in einer Mitteilung an die Washington Post beklagten, verstößt SB 8 „zweifellos“ gegen den Präzedenzfall und ist „etwas, das in den Jahrzehnten seit Roe in keinem anderen Bundesstaat erlaubt wurde.“
Doch Texas lässt sich auf den Kampf ein. Seit Mitte August haben alle 11 in Texas ansässigen Planned Parenthood-Zentren keine Termine ab dem 1. September für Abtreibungen nach der 6. Schwangerschaftswoche mehr angenommen. „Dieses Gesetz richtet seit Wochen Schaden an“, sagte Ianthe Metzger, die Leiterin der Medienkampagne von Planned Parenthood im Bundesstaat Texas.
Für Abtreibungsgegner hingegen hat diese Entwicklung schon viel zu lange auf sich warten lassen. Nach Angaben von Marjorie Dannenfelser, Präsidentin der Susan B. Anthony List, sei „das amerikanische Volk darauf bestrebt, unsere extremen und überholten Abtreibungsgesetze zu humanisieren… Wir stehen an der Seite von Texas und hoffen, dass der Oberste Gerichtshof bald endlich allen Staaten die Freiheit gewährt, die Schwächsten unter uns zu schützen.“