Fäden im Dunkel – Zur Metaphysik der Familie

Was soll aus dem Jahr der Familie werden? Eine Meditation über Abendland, Familie, Opfer und warum man einige "Gutmeinende" zurückweisen muss.

Jacopo Palma, Cain Slaying Abel, 1590

Last updated on April 19th, 2021 at 06:33 am

Es gibt Themen, die widersetzen sich dem Autor mit aller Macht. Ein inneres Streitgespräch entsteht. Nicht ohne Komik. Man ist geneigt, sich selbst beim mit sich selbst streiten zuzusehen. Aber wohin soll das führen? Vieles ist aus berufenem Munde bereits über die Familie gesagt worden. Je länger die Beschäftigung mit diesem Berg von Aspekten und Bedeutungsebenen andauert, umso heftiger entwickelt sich der innere Zwist. Möglichweise, weil schon alles gesagt wurde? Liegt nicht alles Wesentliche zu diesem Thema bereits vor? Ist auch die allgegenwärtige Bedrohung dieser Institution nicht eben genau dies: allgegenwärtig? Und das schon seit Anbeginn aller Zeit? Sonnenschein und Regen gehören gleichermaßen zum Wetter. Er hat sich erstaunlich gut gehalten, dieser Fels in der Brandung, dessen scharfe Kanten schon so manche Wunde geschlagen haben. Wir befinden uns auf Wunsch von Papst Franziskus im Jahr der Familie. Viele salbungsvolle Worte werden also zu diesem Thema in den nächsten 12 Monaten zu hören sein. Leider. Die Familie ist heilig. Ich befürchte, dass auch in diesem Jahr wenig zum Verständnis dieser tiefen Wahrheit beigetragen wird. Dem Netten und Wohlgemeinten wird man sich kaum entziehen können. Ebenso wenig wie den Studien, welche den Diskurs versachlichen sollen. Oder den Petitionen mit denen wahlweise Haltung gezeigt oder eingefordert werden soll. Von den zahllosen Predigten, von denen ein Großteil missglücken wird, ist besser gleich zu schweigen.

Die Familie ist heilig, weil sie Teil der Wahrheit und damit Ausdruck des Absoluten ist. Man kann über Wahrheit und Absolutheit aber nicht sprechen, indem man eine wohlklingende Phrase an die nächste hängt. Immerhin war es Kain, der den Abel erschlug. Von den Kains und Abels dieser Welt wäre zu sprechen. Vom Blut, welches den Ackerboden tränkt. Von den inneren Abgründen des je Einzelnen, in welche man unversehens mit hineingestoßen werden kann. Leider ist dieses Bild ob seiner Eindrücklichkeit dazu geeignet, es sich bequem zu machen. In den unvermeidlichen Diskussionsforen eines solchen Jahres werden wir uns sich wieder so manches über die Menschheitsfamilie und den Weltfrieden anhören dürfen. Gratismut verliert sich gerne im Großen und Ganzen. Der je Einzelne ist aber angesprochen. Du bist Abel und Du bist Kain. Du lässt den Schädel bersten und Dein Blut ist es, welches in den Acker rinnt. Woher kommt dieser Acker? Woher kommst Du? Wie kam es zu Deinem Sturz? Ist die Kante am Abgrund gebrochen, oder bist Du gesprungen?

Du bist tausende Jahre alt und doch dem Windhauch Kohelets ausgeliefert. Dem Selbstbetrug ewig jugendlicher Unverbindlichkeit wäre der Verweis auf die Gewissheit des Endes entgegenzuhalten. Die Familie ist der Gesellschaft ein Mahnmal an das Ende. Dies erklärt die große Zerstörungswut aus Richtung derer, welche das Ende überwinden und in eine neue Menschheit eintreten wollen. Das unschuldige Toben des behüteten Kindes und das ruhige Einschlafen des Greises sind die großen Momente dieser fragilen Verknüpfung zwischen dem Sekundentakt und der Ewigkeit. Mögen dazwischen auch Reiche und Welten zugrunde gehen, solange die Familien ihre seidig schimmernden Fäden durch das große Dunkel ziehen, ist jede Hoffnung gerechtfertigt.

Die Jünger verließen ihre Familie, um Christus zu folgen. Sie sind also auch ein Opfer, welches die Familien brachten. In den meisten Fällen zum Unmut der Familien, darf man vermuten. Man frage doch einfach mehrere Priester wie es ihnen und ihrer Familie ging, als die Berufung nicht mehr zu leugnen war, um eine Ahnung davon zu erhalten. Der innere Zusammenhang zwischen Familie, Opfer und Priestertum ist im kollektiven Bewusstsein des Abendlandes nahezu ausgelöscht. Allein über den Verlust dieses Zusammenhangs ließen sich tausend Seiten schreiben. Überhaupt ist die Familie der Ort, an dem geopfert wird. Nicht wenige werden von diesem Opferdienst zerbrochen. Die Gründe sind vielfältig. Mal sind die Opfer die falschen, mal wird falsch geopfert. Die offene Flanke der Familie ist nicht nach außen gekehrt. Sie liegt im Inneren.

Dringend sind all die selbsternannten Kümmerer und Gutmeinenden zurückzuweisen, welche sich regelmäßig aufschwingen, den „Familien im Lande“ zu helfen. Wie kommt ihr zu der Annahme, dies Jahrtausende alte und im Ewigen wurzelnde Fundament der Welt entspreche gerade eurer Kragenweite? Und könnt ihr es doch nicht vermeiden, so sei euch eine einzige Aufgabe übertragen: die Familie in Ruhe zu lassen. Seid fleißig darin. Räumt alles aus dem Weg, was der Familie eine Last ist. Kommt keineswegs auf neue Ideen und reduziert euren Einfluss und den Dritter soweit wie nur irgend möglich.

Alles andere machen die Familie, die Priester und vor allem jener Geschundene, welcher auf Golgota seiner Mutter in den Schoß gelegt wurde, als die Welt mit ihm fertig war.

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