Je älter man wird, desto mehr misstraut man den Experten. Sicherlich sind in vielen Bereichen Sachverstand und Professionalität erforderlich, doch sollte man nicht zu viel verlangen. So merkte der deutsche Soziologe Max Weber (1864-1920) an: „Ein Experte ist jemand, der immer mehr Wissen über immer weniger Dinge anhäuft, bis er am Ende Alles über Nichts weiß.“
In der gegenwärtigen, von CoViD-19 bedingten Notlage erfüllt sich ein Wunsch, den sich nicht einmal die Verfechter des Szientismus im 19. Jahrhundert je erträumt hätten: die Vorherrschaft der Wissenschaft, welche sich gemäß den Worten des Kommentators Marcello Veneziani in eine „Gesundheitsdiktatur“ niederschlägt. Virologen und Epidemiologen, die inzwischen zu Medienstars aufgestiegen sind, haben mit ihren nicht immer konvergierenden Meinungen ganze Länder in der Hand. Man muss jetzt natürlich ihr Fachwissen heranziehen, um aus der Krise herauszukommen, doch liegt die endgültige Entscheidung in den Händen der vom Volk gewählten Politiker. Der Journalist Nicola Porro hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Virologen lediglich den ihren Fachbereich betreffenden Aspekt des Problems im Auge haben. Wenn es nach ihnen ginge, müssten wir alle monatelang zu Hause bleiben, bis die Infektion abgeklungen ist oder ein Impfstoff entwickelt wird, also mehr oder weniger ein Jahr lang.
Obgleich gerechtfertigt, haben die vergangenen Wochen, die wir in Quarantäne verbracht haben, bereits verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Psychologie der Menschen und die Arbeit. Noch mehr Leid, Zerstörung und Sterben. Wenn wir das Problem nur auf einen, und zwar auf den gesundheitlichen Aspekt beschränken, laufen wir Gefahr, dass uns die nicht minder wichtigen Probleme in allen anderen Bereichen über den Kopf wachsen. All jene, die im Gesundheitswesen tätig sind – Ärzte, Krankenpfleger, Krankenträger – zahlen im Kampf gegen die Pandemie einen hohen Preis. Ehre, wem Ehre gebührt. Tatsächlich gehen mit CoViD-19 Leid und Tod einher, allerdings sollten wir nicht vergessen, dass Arbeitslosigkeit, Depression, Verzweiflung und Hilflosigkeit auf lange Sicht vielleicht noch verheerendere und schwerwiegendere Auswirkungen haben. Für Millionen von Familien zeichnen sich düstere Aussichten ab. Okay zu Expertenmeinungen, aber man sollte „das große Ganze“ im Blick behalten. Um ein Problem zu lösen, darf man nicht ein potenziell größeres Problem aus den Augen verlieren.